Vorwort

 

Teil 1

 

Mit knapp 26 Jahren kam ich übergangslos in eine Welt, auf deren Realitäten ich in keiner Weise vorbereitet war.

Beim Zurückdenken wundert es mich, wie naiv und gedankenlos ich mein Leben damals lebte. Ich gehöre zu der Nachkriegsgeneration, die einerseits noch in althergebrachten Strukturen erzogen wurde ( Stelle niemals in Frage, was ein Erwachsener sagt, z.B.), sich andererseits aber auch keine Sorgen um die Zukunft machen musste. Wer damals eine halbwegs gute Schulbildung oder sonstige Ausbildung hatte, dem standen sichere Arbeitsplätze unbegrenzt offen.

Alles war geregelt, das Leben konnte in festen Bahnen verlaufen.

Das kritische Hinterfragen hatte zwar schon begonnen, aber im Jahre 1968 war ich – obwohl noch Studentin – schon verheiratet und hatte ein Kind, eine „echte 68erin“, wie meine älteste Tochter heute noch stolz von sich sagt. Ich war vollauf damit beschäftigt, Ehe, Mutterschaft und Studium unter einen Hut zu bringen. Gedanken an ein Ausbrechen aus diesem Leben kamen mir gar nicht.

 

Das war bei meinem damaligen Mann anders. Er hatte Erfahrungen damit, neue Wege zu gehen.

(. . . mehr)

Teil 2

 

Eine gewisse Abenteuerlust muss auch in mir gesteckt haben. Wie sonst ist zu erklären, dass ich ohne zu zögern mit Mann und inzwischen zwei Kindern ( meine zweite Tochter war knapp 9 Monate alt, als wir in Genua auf das Schiff gingen, das uns 4 Wochen lang über das große Wasser tragen sollte) in ein Land übersiedelten, in dem die politischen Turbulenzen immer größer wurden. Egal – wir waren nun schon vertraglich gebunden und schauten voller Erwartung nach vorne. Jeder Tag war aufregend, die Schiffsreise war herrlich. Die zurückliegenden Monate waren so angefüllt gewesen; es ist nicht einfach, eine mindestens dreijährige Abwesenheit zu organisieren, wenn man ein Haus zu vermieten hat, entscheiden muss, was auf Vorrat eingekauft werden muss, welche Möbel, Geschirr etc. mitgenommen werden sollen, was bei der Spedition eingelagert bleibt etc. Unser „großes Gepäck“ kam schon frühzeitig in einen Container, der per Frachtschiff nach Chile fuhr, und wir mussten zwei Monate aus 8 Koffern leben – Winterkleidung für Deutschland, Sommerkleidung für Chile. Da blieb keine Zeit für banges Nachdenken. Die bekümmerten Mienen meiner Mutter und meines Schwiegervaters nahmen wir gar nicht wahr. Wir waren eben jung.

 

Aus den ursprünglich drei Jahren wurden dann fünf. Wir erlebten ein halbes Jahr lang das Ende des chilenischen Sozialismus, und zwar hautnah. Dann kamen viereinhalb Jahre Militärdiktatur – ebenfalls hautnah.

Ich musste lernen, zu improvisieren, auf dem Schwarzmarkt zu feilschen, zu schmuggeln, Lebensmittel für meine Familie herbeizuschaffen, nötigenfalls blitzschnell Ausreden zu erfinden und ja auch noch zu unterrichten – und das alles in einer Sprache, die ich nicht beherrschte. Unter solchen Umständen lernt man schnell.

Merkwürdigerweise hatte ich mit der von unserer so unterschiedlichen Mentalität überhaupt keine Schwierigkeiten. Ich akzeptierte sie so, wie sie war, und konnte deshalb relativ mühelos in eine fremde Welt, Kultur und Sprache eintauchen und sie mir zu Eigen machen.

(. . . mehr)