Tango in Argentinien

 

Die Península Valdés war ein beliebtes Urlaubsziel – und ist es immer noch – sowohl für Einheimische als auch seinerzeit für uns.

 Wir fuhren von Südchile quer durch die endlose argentinische Pampa, bis wir die Halbinsel erreichten, die weit entfernt jeglicher Zivilisation am Atlantik liegt. Die Attraktion dieses Ortes bestand in seiner Kolonie von Seekühen, den dazugehörigen Elefanten, Walrössern, Robben, Pinguine und was der südliche Atlantik sonst noch an maritimer Fauna zu bieten hatte.

 Ansonsten gab es buchstäblich nichts, nur einen Campingplatz von bescheidenem Komfort. Das machte uns nun wirklich nichts aus.

 Die Argentinier bestaunten unser Steilwandzelt. „Tiene teléfono?“ und „Cuántos pisos tiene?“ hieß es. Nein, das Zelt hatte kein Telefon und bestand auch nicht aus mehreren Stockwerken. Die Argentinier spotteten nur etwas respektvoll über diese ihrer Ansicht nach luxuriöse Camping-Herberge. Die Kommunikation mit den übrigen Urlaubern klappte prima. Ab und zu steckte jemand den Kopf ins Zelt.

Señora, können Sie einen Salat zubereiten? Wir haben prächtige Fische gefangen... Natürlich sind Sie zum Essen eingeladen.“ So saß man dann einträchtig beisammen und aß, erzählte und lachte, und dann wurden die Instrumente aus dem einzigen Baum geholt, den es dort gab – meist Gitarren – und die dort zur Aufbewahrung hingen. Das war kein Problem, denn es regnete dort im Sommer nie, und an Diebstahl dachte niemand. Die Musiksession begann. Es war wundervoll bis zu dem Moment, wo ich gebeten wurde, ein deutsches Volkslied zu singen. Oh je... Seit der Zeit hatte ich dann immer eine gefällige Auswahl deutschen Liedguts im Repertoire.

 

Das absolute zivilisatorische Highlight war das Campingplatz-Restaurant. Restaurant? Nun ja, wenn man die vier Pfosten, um die weiträumig eine Zeltplane gezogen worden war, so nennen möchte – bittesehr. Eine Küche befand sich darin, abgetrennt von dem Raum mit den Tischen und Stühlen. Ein Dach war nicht notwendig, wozu auch.

 Frischer Fisch und Salat oder eventuell auch ein Steak schmeckten wunderbar unter dem sternenübersäten Himmel. Die Luft war warm und der leichte Wind wehte den Geruch nach salzhaltigem Meer herüber. Himmlisch! Man musste ja nicht unbedingt ständig die Patrona im Blickfeld haben, die Betreiberin des Lokals. Sie war schlichtweg eine alte Vettel. Ihr massiger Körper hing in einem geräumigen Holzsessel, die flinken Augen schauten misstrauisch unter dem strähnigen und fettigen Haar hervor. Wenn sie den Mund öffnete, sah man das mehr als lückenhafte Gebiss.

 Aber das Essen dort war gut – wir waren ja auch wahrhaftig nicht verwöhnt – und der Wein süffig. Als Kollegen von uns aus Concepción auf dem Campingplatz eintrafen, musste das natürlich mit einem Essen gefeiert werden. Und mit Wein. So aßen und tranken wir, und dann tranken wir noch ein bisschen mehr. Der deutsche Kollege, so stellte sich heraus, war ausgebildeter Sänger. Die Stimmung war großartig, und er begann zu singen. Die übrigen Gäste, das männliche Personal – meist Chilenen – und die Patrona klatschten Beifall.

 Auf einmal befand sich unser Sänger auf den Knie vor der Patrona, breitete die Arme aus und sang ihr zu Ehren „Granada“, wobei er zwischendurch hilfesuchend den Kopf zu uns umwandte und leise, aber flehentlich ein „Leute, ich hänge mit dem Text,“ ausstieß, um dann sofort weiter zu singen. Die hässliche Alte brach in Tränen aus, der Beifall wollte nicht mehr enden. Frei-Wein für alle. Der Koch und die sonstigen Bediensteten ließen das Kochen und Bedienen sein und griffen nach den Musikinstrumenten, die an Haken an der Zeltplane hingen. Musik! Wer konnte da noch so etwas Schnödes wie eine Mahlzeit fordern? Das tat auch niemand, und schon erschallten die Lieder der argentinischen und chilenischen Folklore in den Nachthimmel. Wir waren alle eine große Familie.

 Jetzt legten die Musikanten aber richtig los.: Tango. Ihr habt schon mal Tango getanzt? Ja? Aber bestimmt keinen tango argentino im warmen Sand des Strandes, barfuß, und mit einem Tänzer, der euch so weit zurückbiegt, dass euer Haar fast den Sand streift.. Die Nacht erfüllte alle denkbaren Klischees – die Luft war warm und samten, die Sterne leuchteten am tiefdunklen Nachthimmel, der Wein floss in Strömen, und die Musik hat bestimmt auch die ganze Seekuh-Kolonie verblüfft aufschauen lassen. Die Gäste sprangen auf, jeder tanzte mit jedem.

 Tango bis zum Abwinken. Irgendwann wurde die Luft kühler, und auch wenn die Lust am Tanzen und Singen schier unerschöpflich schien, schlich sich die mit Wein angereicherte Müdigkeit ein.

 Fragt mich nicht, wie wir zu unserem Zelt gefunden haben, aber ein paar Stunden später wachten wir tatsächlich in unserem Camping-Domizil auf.

 

Es ist schon lange her, aber dieser Abend ist und bleibt mir inolvidable, unvergesslich.

 

 

(C) Copihue 2016