Dringende Bedürfnisse



Irgendwann muss es ja mal sein, dass ich mich dem Thema zuwende, das in noch keinem der zahlreichen Reiseberichte behandelt oder gewürdigt worden ist, die ich bisher gelesen habe. Übrigens auch in keinem von mir bis dato geschriebenen Bericht.

Nach dem kürzlich beendeten, vierwöchigen Aufenthalt in der südlichen Bretagne fühle ich aber das dringende Verlangen, dieses sensible Thema aufzugreifen, dem bislang nahezu jeder ausgewichen ist.

Wenn man also den ganzen Tag irgendwo unterwegs ist, dann kommt unweigerlich der Moment, in dem man dringend eine Toilette benötigt. In jüngeren Jahren habe ich wahrscheinlich viel länger durchgehalten, aber jetzt...

Ich habe Strategien entwickelt. So nutze ich praktisch jede Gelegenheit, die eine einigermaßen akzeptable Möglichkeit bietet, die Blase zu erleichtern. Man kann nie wissen, ob und wann man wieder in den Genuss einigermaßen komfortabler sanitärer Anlagen kommt. Natürlich führe ich jederzeit Toilettenpapier mit mir.

Das Wissen um die oft plötzlich auftretende Dringlichkeit meiner Bedürfnisse hat meinen Blick geschärft. Egal, wo ich bin, mein Blick scannt schon automatisch alle Hinweisschilder auf die entsprechenden Piktogramme ein. Mein mitfühlender Lebenspartner ist ebenfalls darauf eingerichtet, und wenn er nicht neulich das rettende Schild in Le Croisic entdeckt hätte, also ich weiß nicht, was dann passiert wäre.

Hier ein wertvoller Tipp: eine öffentliche Toilette findet sich immer in unmittelbarer Nähe einer Kirche. Zumindest in der Bretagne. Der hygienische Zustand derselben variiert allerdings beträchtlich.

In vier Wochen kommt man viel herum – ganz zu schweigen von den drei vorhergehenden Urlauben, ebenfalls in der Bretagne. Nun kenne ich die ganze Bandbreite des Angebotes. Es reicht von „Schweig stille, mein Herz“ bis „Fantastisch! Hätte ich nie vermutet!“. Im Grunde könnte ich einen diesbezüglichen Reiseführer schreiben – mit ausdrücklichen Warnungen versehen - wofür mir der eine oder die andere bestimmt sehr, sehr dankbar wäre.

Es scheint sich in dieser Region in den letzten Jahren einiges getan zu haben. Schließlich wird sie im Sommer von Touristen geflutet, und die müssen ja alle irgendwann einmal.

Das absolute Highlight dieser „Tour de Toilette“ begegnete mir in Camaret auf der Halbinsel Crozon. Da fand sich eine entzückende Seefahrer-Kirche, sehr sehenswert. Mein Auge suchte und fand nach der Besichtigung, was ich so dringend benötigte: eine Toilette, die eine Anzeige mit grünem Licht aufwies. Aha, also frei. Drinnen war es sauber; es gab Toilettenpapier, ein Handwaschbecken mit heißem Wasser, Seife und Papierhandtüchern. Die Kloschüssel reinigte sich selbsttätig, samt Brille. Die Verriegelung, so konnte ich lesen, würde nach 15minütiger Verweildauer automatisch entsperrt werden. Ich hätte vor Freude weinen können. Dazu war die Benutzung dieser Anlage auch noch kostenlos!

An anderer Stelle fand sich ähnliches, nur musste ein Obolus entrichtet werden. Aber gerne doch. Ich verstand nur nicht so recht, weshalb man den Betrag dort einwerfen musste, wo sich die Toilette gar nicht befand. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, und übrigens blieb mir sowieso keine andere Wahl. Also warf ich die gewünschte Summe ein, ein kurzer Sprint – und siehe da! Grün.


Absolut unvergesslich wird mir der Aufenthalt in Vannes sein, einer schönen Stadt mit mittelalterlichem Kern. Überall im Ort verwiesen Anzeigen auf die öffentlichen Toilette. Prima, die kam mir eben recht, ich war doch schon recht unruhig geworden. Ich drückte die Klinke. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Was tun? Die Dringlichkeit meines Bedürfnisses nahm zu. Neben der öffentlichen, geschlossenen Toilette befand sich eine weitere. Allerdings hätte man auf einem Tastaturfeld einen Code eingeben müssen, den man nur als Gast eines um die Ecke gelegenen Restaurants bekommt.

Ich war nun mal eben kein Gast; außerdem hätte die Zeit nicht mehr gereicht, in dies Restaurant zu gehen, mein Problem darzulegen und den Code zu erlangen... ausgeschlossen.

In solchen Momenten helfen nur noch Stoßgebete, und das meine wurde erhört.

Während ich noch in stummer Verzweiflung auf die Tastatur blickte, tauchte wie aus dem Nichts eine Dame hinter mir auf.

Sie brauchen den Code“, sagte sie.

Ja, ich weiß, aber ich habe ihn nicht und auch keine Zeit mehr, um...“

Die Dame lächelte, trat einen Schritt vor und tippte den Code ein. 2425.

Ich warf ihr eine Kusshand zu,verschwand eiligst hinter der nun geöffneten Tür und dankte dem Universum.


Falls jemand von euch beabsichtigt, in absehbarer Zeit diese Region Frankreichs zu bereisen und braucht Info der etwas delikateren Art, dann wendet euch nur vertrauensvoll an mich.

Ach , ja, ich habe übrigens nur dies eine Foto einer öffentlichen Toilette. Aus euch bestimmt ersichtlichen Gründen kann ich leider nichts über den Zustand im Inneren berichten.


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