Chenonceaux im September
Chenonceaux im September

Die Schlösser der Loire

Eine Reise in die Geschichte

 

In den letzten 45 Jahren bin ich häufig die A 10 von Paris Richtung Bordeaux und weiter gefahren, und immer haben mich die Hinweisschilder der Loire-Schlösser gelockt, aber es fand sich nie die Zeit, sie ganz einfach zu besuchen.

Ich habe mich stets gefragt, wieso gerade hier die Anzahl der Schlösser so hoch ist. Und die Namen waren glatte Verführung: Chambord, Blois, Chenonceaux, Amboise, Azay-le-Rideau, Villandry... die Liste ließe sich fast beliebig verlängern.

Dieses Jahr habe ich „ es getan“ und mir vorher auch die Zeit genommen, mich eingehender mit dem Thema zu beschäftigen.

Mir wurde schnell klar, dass sich deshalb so viele von ihnen hier versammelten, weil es sich um die französischen Stammlande handelt , die Provinzen Touraine, Anjou und Berry. Hier waren die Franzosen meist unter sich, hier fanden die Fehden der Feudalherren statt. Im Hundertjährigen Krieg sind diese Provinzen Zuflucht der Königstreuen, und es entspinnt sich ein dramatischer Reigen der Macht und Verschwörung, ein wilder Tanz von Intrigen und tragischen Ereignissen, von Glorie und Niedergang. Die Schlösser spiegeln die Zeit zwischen dem Mittelalter und der französischen Revolution, zwischen den ersten Königen und dem wohlhabenden Bürgertum im 19. Jahrhundert.

Erste Überraschung: Die Loire-Schlösser liegen gar nicht alle an diesem schönen Fluss, der nie in das Korsett einer Begradigung eingezwängt wurde. Sie finden sich zumeist an den vielen Nebenflüssen. Zuweilen wird sogar sehr großzügig mit der Bezeichnung „Loire“ umgegangen, z. B. Im Fall des Schlosses von Loches, das in einiger Entfernung der anderen auf dem Weg nach Châtellerault an der Indre liegt. Die anderen liegen im Umkreis von etwa 40 km, wenn man wie wir seine Zelte in Amboise aufgeschlagen hatte.

 

 

Loches

 

An einem bewölkten Tag fahren wir nach Loches.

Dieses Schloss hat zumindest von innen noch burgähnlichen Charakter. Die Säle sind relativ kahl, deshalb aber nicht minder imposant. Der Atem der Geschichte ist hier deutlich zu spüren. Loches gehörte den Grafen von Anjou, die dann als Plantagenets die englische Krone erlangten. König Johann Ohne Land verlor allerdings den Kampf um Loches im Jahr 1193 – ein Jahr später eroberte Richard Löwenherz es wieder zurück, konnte es aber nicht lange halten.

Später verkriecht sich hier Kronprinz Charles VII wie in einem Mauseloch, allerdings ist es ein königliches. In einem der Säle ist im Fußboden eine Platte eingelassen, die besagt, dass an dieser Stelle die Jungfrau von Orléans 1429 den Kronprinzen dazu bewegen konnte, seinen Anspruch an die französische Krone anzumelden. Ab dann wandelte sich bekanntlich das Kriegsglück zugunsten der Franzosen.

Nicht nur Jeanne d'Arc spielte in Loches eine bedeutsame Rolle, sondern mehr noch Agnès Sorel, die erste offizielle Mätresse eines französischen Königs. Sie muss eine enorm starke Persönlichkeit gewesen sein und von großer Schönheit. Ein berühmter Maler hat sie als Madonna dargestellt; das Gemälde ist in Loches zu finden. Sie stirbt im Alter von 28 Jahren, und es existiert ein wundervolles marmornes Grabmal.

Später wird Loches zu einem Gefängnis, in das man hochrangige Leute bringt. Ihre Namen werden fein säuberlich in die Bezüge der Stühle und Sessel eingestickt.

Ich empfand die düstere Atmosphäre von Loches sehr stark, und dazu passte der bewölkte Himmel ganz ausgezeichnet.

 

Amboise
Amboise

Amboise

 

Eine mindestens ebenso bewegte Geschichte hat das Schloss Amboise. Es thront inmitten der gleichnamigen Stadt hoch über dem Ufer der Loire. Der Weg zur weitläufigen Anlage führt über eine große Rampe, die ziemlich mühselig zu bewältigen ist – jedenfalls wenn man mit ein paar Herzproblemen zu kämpfen hat.

Amboise ist das erste Schloss in Frankreich, das im Renaissance-Stil zumindest umgebaut, bzw. fertiggestellt wird.

Charles VIII, Sohn des uns aus Loches bekannten Königs, bringt die neuen Architektur-Ideen von einem Feldzug nach Italien mit.

Tragisch ist die Geschichte seines frühen Todes: Im Alter von 28 Jahren – er will seiner Königin, Anne de Bretagne – die Ballspieler zeigen, stößt er in einem Durchgang so heftig mit seiner Stirn gegen den steinernen Türsturz, dass er die Besinnung verliert und ins faule Stroh fällt. Keiner wagt, ihn zu berühren – es handelt sich doch um den König! Neun Stunden später stirbt er dort.

Abgesehen davon, dass Anne nun eine kinderlose Witwe ist, ereilt sie das Schicksal, das sie mit etlichen früheren, bzw. späteren Königinnen teilt: sie wird zur Ehefrau des nächsten Königs, Ludwig XII. Das nennt man Staatsräson und ist „part of the deal“. Gefragt worden ist sie natürlich nicht.

Sie bringt in Amboise dann ihren Sohn, François I , zur Welt, der später zum großen Gegenspieler des habsburgischen deutschen Kaisers Karl V und dem Engländer Heinrich VIII werden wird. Er ist ein leidenschaftlicher Bauherr und bringt 1516 Leonardo da Vinci nach Amboise, der dort bis zu seinem Tode lebt.

Amboise hat viele Schrecken erlebt. Aus Angst um die Sicherheit seiner Familie hält Ludwig XII das Schloss – eher: die Festung – so klein, dass dort kein Fremder übernachten kann.

Katharina von Medici versteckt sich hier mit ihren Söhnen aus Angst vor den Protestanten, die geplant hatten, François II zu entführen, um den Einfluss der mächtigen katholischen Guise zu brechen. Die Verschwörer werden verhaftet und einige von ihnen am Schloss aufgehängt.

In Amboise wurde mir dann klar, dass es vielfach die Frauen oder Mätressen waren, die das Leben auf den Schlössern entweder bestimmten oder erlitten. Die Männer befanden sich auf Feldzügen oder reisten von Burg zu Burg, später von Schloss zu Schloss. Die Frauen waren oft genug die Gefangenen des Schlosses.

 

 

 

 

Chambord
Chambord

Chambord

 

Erst einmal: Chambord ist riesig. Es ist 156m lang und 56m hoch, hat 77 Treppen, 282 Kamine und 426 Räume.Der dazugehörige Park umschließt ein Gelände, das mit 5440 ha so groß wie die Pariser Innenstadt ist. Es ist der derzeit größte umschlossene Park Europas. Wenn man auf einer der Hauptterrassen steht, sieht man die Straße, die pfeilgerade durch die Wälder auf das Schloss zuführt. Sie scheint aus dem Unendlichen zu kommen.

Wälder? Ja, das Erstaunliche an diesem Schloss ist, dass es ein reines Jagdschloss war, von François I im Renaissancestil erbaut. D. h., er hat die Fertigstellung nicht mehr erlebt, dazu bedurfte es mehrerer Generationen.

Chambord liegt in den Wäldern, die damals fast undurchdringlich gewesen sein müssen. Dann kam der König mit seinem riesigen Tross an. Das Schloss muss praktisch von Null auf Hundert in Betrieb gebracht worden sein. Für höchstens ein paar Wochen wurde hier gejagt und getanzt und selbstverständlich intrigiert...

Dann blieb es wieder monatelang verlassen.

 

Trotz seiner riesigen Ausmaße wirkt es leicht und ausgewogen. Die größte Berühmtheit hat das zentrale Treppenhaus erlangt, das auf Entwürfe von Leonardo da Vinci zurückgehen soll. Immerhin lebte er im nicht weit entfernten Amboise. Diese Doppelwendeltreppe verbindet drei Stockwerke des Schlosses. Zwei Personen, die sich auf unterschiedlichen Treppenläufen bewegen, können sich zwar durch die Öffnungen sehen, sie werden sich aber nicht begegnen.

 

 

Chenonceaux
Chenonceaux

Chenonceau – oder doch Chenonceaux?

 

Die unterschiedliche Schreibweise findet sich auf vielen Hinweisschildern und verwirrte mich anfänglich, bis ich auf des Rätsels Lösung stieß. Bezeichnungen von Schlössern, Gebieten usw., die auf „x“ enden, gehörten immer der Krone. Als nun die Französische Revolution kam, da fiel der Adligen, die damals die Schlossherrin war, etwas Schlaues ein. Sie ließ einfach das „x“ streichen und verkündete, dass sie auf diese Weise ihre Sympathie mit dem neuen Regime kundtun wolle. Daraufhin blieb sie unbehelligt und ihr Besitz unangetastet...

Chenonceau ist nach Versailles das zweit-meistbesuchte in Frankreich. Das war deutlich zu spüren, obwohl es schon Nachsaison war, als wir dort hinfuhren. Ein strahlender Sommertag bei mehr als 30°C im September ließ die Massen strömen, die sich allerdings bald in dem wunderschönen Gebäude und den Gärten verloren.

 

Das Schloss ist überraschenderweise anfänglich nicht in königlicher Hand gewesen.

Der schon mehrfach erwähnte François I riss es an sich, als er sich gezwungen sah, ein ungeheures Lösegeld für sich an den deutschen Kaiser Karl V zu zahlen. In einem der insgesamt desaströsen Italienfeldzüge war er vom Kaiser gefangen genommen worden.

Woher soviel Geld nehmen? Nun, er beschuldigte einfach die mit der königlichen Finanzverwaltung betrauten Beamten und weitere Finanziers der Unterschlagung, ließ sogar den schon 83jährigen Oberintendanten hängen und kassierte das Vermögen und den Besitz. Auf diese Weise gelangte er nicht nur in den Besitz von Chenonceau, auch andere Schlösser wurden so von ihm „erworben“.

Es waren dann aber illustre Damen, die dem Schloss den Stempel aufdrückten.

Henry II schenkte es seiner Mätresse Diane de Poitiers, die einen prächtigen Garten anlegen ließ und dem Schloss eine Brücke anfügte, die über die Cher führte. Kaum war Henri recht frühzeitig gestorben, warf dessen Witwe, Katharina de Medici, Diane hinaus und ließ einen n o c h prächtigeren Garten anlegen...

Im Jahre 1601 bereits geht Chenonceau in bürgerliche Hände über.

Im 18. Jahrhundert ist es Louise Dupin, die dem Schloss seinen Glanz wieder gibt.

Die geistige Elite jener Zeit trifft sich hier, wie z.B. Montesquieu, Voltaire oder Rousseau. Sie ist es auch, die das Schloss vor den Revolutionären rettet. Eine ihrer Nachfahrinnen ist übrigens Armandine Aurore Lucie Dupin, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen George Sand.

Das Schloss ist weitgehend von Frauen geprägt worden und heißt auch deshalb „Das Schloss der Damen“.

Im 2. Weltkrieg hat es eine unerwartete Rolle gespielt.

Der Eingang des Schlosses lag auf dem Gebiet des besetzten Frankreich. Die Grenze zum freien Frankreich führte mitten durch den Fluss Cher. Der Hinterausgang am anderen Ufer der Cher war bereits freies Gebiet. Diese Tatsache nutzte die Résistance, um heimlich Menschen in die Freiheit zu schleusen.

Das hätte sich Diane seinerzeit wohl kaum träumen lassen.

 

 

Azay-le-Rideau spiegelt sich im Schlossgraben
Azay-le-Rideau spiegelt sich im Schlossgraben

Azay-le-Rideau

 

Auf den ersten Blick erscheint dieses vergleichsweise „kleine“ Schloss auf einer Insel der Indre heiter und leicht verspielt. Nichts deutet darauf hin, dass es einmal „Azay-le-Brulé“ genannt worden ist. Als Charles II - das ist der mit der Jungfrau von Orléans – hier einst vorbeikam, war die damalige Burg von feindlichen Anglo- Burgundern besetzt gewesen, die sich von hoch oben über ihn lustig machten. Da ließ er die Burg belagern und setzte sie in Brand. Alle Burgunder kamen um.

Auch Azay-le-Rideau gehört zu den Schlössern, die sich François I auf die Art unter den Nagel gerissen hatte, wie ihm das schon erfolgreich mit Chenonceau gelungen war.

Er behielt es aber nicht für sich, sondern schenkte es einem Kampfgefährten. Damit geht dieses schöne Wasserschloss in die Hand eines Bürgerlichen über – Zeichen eines sozialen Aufstiegs, das allmählich auch bei anderen Schlössern sichtbar wird.

Balzac bezeichnet das Schloss als einen „in Park- und Flusslandschaft eingefassten Diamanten“.

So empfinde ich es auch, selbst wenn ich weiß, dass in einem kleinen Gemach dort das Edikt von Nantes aufgehoben worden ist, welches den Hugenotten Glaubensfreiheit gewährt hatte.

Die Geschichte holt einen jederzeit ein in diesem Gebiet, das recht großzügig als „Loire-Tal“ bezeichnet wird.

 

 

Villandry
Villandry

Villandry

 

Meinen Liebling unter den Schlössern habe ich mir bis zuletzt aufgehoben, einerseits, weil es der letzte Renaissancebau an der Loire ist, andererseits, weil mich seine Gärten in Entzücken versetzten.

Ich bin gar nicht mehr im Innern des Schlosses gewesen. Mit der Zeit ähneln sich alle Prunkgemächer. Übrigens: mich hat in den Schlössern immer die Tatsache erstaunt, dass es sich bei den Schlafzimmern um riesige Räume handelt, in denen dann – häufig auf einem Podest – zwar prachtvolle, aber sehr kurze Betten stehen. Die Menschen müssen tatsächlich viel kleiner als heutzutage gewesen sein – ich jedenfalls wäre viel zu groß für diese üppige Bettstatt vergangener Tage!

 

Villandry ist fast völlig frei von den Türmchen und sonstigem Beiwerk und bezeichnet den Beginn einer einfacheren Architektur in rein französischem Stil. Fein.

Der Blick geht dann aber sofort über zu den Gärten. Bei den Ziergärten ist man in der Anordnung der Beete streng den Symbolen der zarten, der leidenschaftlichen, der unbeständigen und der tragischen Liebe gefolgt... Die geometrischen Figuren sind klar zu erkennen.

Das ganz Besondere sind aber die Ziergärten, die keine Blumen tragen, sondern...Gemüse. Jedes Jahr werden zwei Pflanzungen vorgenommen. Rund vierzig Arten, die acht botanischen Familien angehören, werden jeweils verwendet. Bei jeder Pflanzung wird die Anordnung verändert und zwar unter Berücksichtigung einer harmonischen Farb- und Formgebung.

Wo hat man schon anmutig gestaltete Reihen von Weißkohl in unmittelbarer Nähe eines Schlosses gesehen?? Da kommt mir die Idee, dass ich nun weiß, woher der liebevolle Ausdruck „Mon petit chou“ stammen muss...

 

 

Es gibt noch eine große Anzahl an Schlössern, die ich nicht besichtigt habe, Chaumont habe ich von weitem gesehen, und in Blois habe ich auf dem Vorplatz gestanden. Irgendwann kann man nichts mehr aufnehmen.

Meinen Traum von seit so vielen Jahren aber habe ich wahr gemacht.