Äquator mal anders
Äquator mal anders

Von „Wasserstraßen“, treuem Auto und nostalgischen Benzinpreisen

 

 

Kaum waren wir dem tropenheißen Guayaquil entronnen, ging es auf dem Weg nach Quito zügig und steil in die Berge. Schon mussten wir Pullover und Parka hervorkramen.
Es war kalt, der Himmel Wolken verhangen, der Wind ging stürmisch, sodass sogar die Schweine, die eher Ähnlichkeit mit domestizierten Wildschweinen hatten denn mit dem hierzulande bekannte Borstenvieh, Schutz suchten. Schutz bedeutete in diesem Fall die runden Hütten, die sich auch in einem afrikanischen Kral nett gemacht hätten. Die Szenerie wurde komplettiert durch Felder und kleine Wälder, die sich über die wellige Landschaft zogen.
Da - ein Schild, das wir schon erwartet hatten. Nun standen wir direkt auf dem Äquator - allerdings auf etwa 4000m überm Meeresspiegel. Landwirtschaft in d e r Höhe...

Hier begannen sich auch langsam die Strapazen dieser langen Reise auszuwirken. Die ständigen Höhenunterschiede und damit verbundenen Klimawechsel und die unglaublich vielen Eindrücke bewirkten eine gewisse Erschöpfung, die sich u.a. durch Wortkargheit bemerkbar machte. Wir sprachen nicht mehr viel miteinander.
Aber wir wollten doch noch dies sehen...und das...und überhaupt: würden wir jemals wieder Gelegenheit haben, so ausgedehnt in Südamerika reisen zu können? Ohne Zeitdruck und ohne vorgegebene Reiseroute? Und Quito sollte man gesehen haben; die Hauptstadt Ecuadors gilt als eine der schönsten Städte Südamerikas. Im Zentrum, bzw. der Altstadt, gibt es tatsächlich noch die alten Häuser im Kolonialstil - erbaut von den Spaniern, die gleich nach den Eroberern kamen, um sich dort niederzulassen.
Sehr schön, wirklich sehr schön. Aber wir mussten doch noch weiter!
Ein Wunder, dass unser braver Bus das alles mitmachte. Er war durch ausgetrocknete Flussbetten gefahren - und auch durch n i c h t ausgetrocknete, wenn es unpassenderweise im Gebirge geregnet hatte...
Das eine oder andere Mal hatte mein Mann schon ins Wasser hinein waten müssen, um herauszufinden, ob der Bus es mit Anlauf schaffen würde oder nicht. Und das stets unter den Augen eines interessierten Publikums. Ganze Familien hatten es sich mit Picknick-Ausrüstung am Ufer des reißenden Flusses, der vorgestern noch eine Straße gewesen war, gemütlich gemacht. Eine große Caterpillar-Zugmaschine war auch da, und der Fahrer sah erwartungsvoll zu, wie seine potentiellen Kunden es erstmal auf eigene Faust versuchten.
Ein Pkw-Fahrer - offensichtlich von Beruf Vertreter einer Oberbekleidungsfirma, den Wagen voller Herrenanzüge, die an anmontierten Stangen hingen - verlor die Geduld und wohl auch die Nerven. Da standen ihm zu viele in der Schlange, dort, wo sich die Straße im Wasser verlor. Also gab er tüchtig Gas und preschte gute 20m neben der ursprünglichen Straße ins Wasser. Es kam, wie es kommen musste: er blieb stecken, das Auto lief voll Wasser und drohte, mit der Strömung weggerissen zu werden.
Der Fahrer wand sich aus seinem Fahrzeug, auf dem Kopf so viele Anzüge aufgetürmt, wie möglich war. Der Caterpillar war zur Stelle, erwischte das Auto noch und schleppte es ans Ufer. Dort wurden die Türen geöffnet, und Ströme von Wasser ergossen sich - es hörte überhaupt nicht wieder auf, so schien es mir. Das Publikum stand kurz davor, zu applaudieren. Begeisterte Zurufe wurden laut.
Dann waren wir dran. Gut, unser Bus war natürlich hochbeiniger als ein gewöhnlicher Pkw. Doch die Strömung war reißend. Meinen Mann erfasste dieser falsch verstandene Sportsgeist, dem (deutsche?) Männer so oft erliegen, wie z.B.: bloß nicht nach dem Weg fragen, wenn man sich hoffnungslos verfranst hat, oder auch das beliebte Spiel: Der Tank ist gleich leer und hier ist eine Tankstelle - mal sehen, ob ich es nicht doch noch bis zur nächsten schaffe...

Er setzte den Bus etwas zurück und dann jagte er in den Fluss. Etwa in der Mitte angekommen, spürten wir, dass die Reifen den Kontakt mit dem Untergrund verloren und wir leicht seitwärts abdrifteten. Ich murmelte Stoßgebet um Stoßgebet, unterbrochen nur von den schlimmsten Flüchen, die mir einfielen (chilenischen, natürlich, es gibt da eine wirklich interessante Auswahl dieser Ausdrücke).
Die Räder griffen wieder. Wir erreichten das rettende Ufer. Die Ausflügler und der Caterpillar-Fahrer blickten enttäuscht.
Eine kurze Inspektion sagte uns, dass unser Fahrzeug heil geblieben war. Wir wussten von einem Kollegen, dessen Auto bei einer ähnlichen Aktion von Fels aufgeschlitzt worden und der Motor ins Wasser gefallen war...

Dieser unser Bus hat uns nie im Stich gelassen. Auch in über 5000m Höhe tuckerte er brav vor sich hin.
Dabei wurde er mit dem billigsten Benzin gefüttert, das man sich denken kann. Ecuador besitzt ausgedehnte Erdöl-Vorkommen. Benzin wurde nicht per Liter, sondern per Gallone (etwa 5 l ) verkauft. Umgerechnet kostete der Liter Benzin etwa 5 Eurocent. Wir waren ja von Chile, Argentinien und Peru niedrige Benzinpreise gewöhnt, aber Ecuador unterbot in dieser Hinsicht alles.
Überhaupt konnte man hier sehr preiswert einkaufen und es war - zumindest in der sierra, dem gebirgigen Hochland - wesentlich sauberer als in Peru; das Land machte insgesamt einen wohlhabenderen Eindruck. Aber das ist lange her, und in der Zwischenzeit scheint es mit Ecuador wirtschaftlich bergab gegangen zu sein.
Der Aspekt "Sauberkeit" gewann immer mehr an Bedeutung, je länger ich in Südamerika war. In der ersten Zeit war einfach alles nur malerisch - da war man noch touristengleich herumgelaufen und hatte alles so akzeptiert, wie es war.
Je länger ich dort lebte und mich immer mehr mit Chile identifizierte, desto häufiger ärgerte ich mich über Schmutz, Schlamperei und Ineffizienz, wohl wissend, dass ich nur Gast war. Und obwohl ich mich rasch eingewöhnt hatte und mit der Mentalität umgehen konnte - wenn auch manchmal zähneknirschend - merkte ich sehr wohl, wie "deutsch" ich war. Deutscher, als ich es in Deutschland je von mir gedacht hätte.

Aber erst einmal waren wir tückischen Routen entronnen, die einmal Straße, einmal Fluss sein konnten, unser Auto war vollgetankt, und wir nahmen Kurs auf Otavalo, Richtung kolumbianische Grenze, das der nördlichste Punkt unserer Reise sein sollte.
Kurz bevor wir diesen Ort erreichten, kamen wir an einem großen Hinweisschild vorbei. Unter anderem stand da: Panama - 1000km.
Wir sahen uns fast erschrocken an. So nah schon am Ende des Kontinents? So weit waren wir schon gefahren?
Otavalo noch, dann war es an der Zeit, umzukehren.