Arica: El Morro
Arica: El Morro

Von Kuriositäten und „Grenzerfahrungen“

 

 

Auf dem Weg nach Norden machten wir einen Abstecher nach Iquique, eine Hafenstadt, die zwei bemerkenswerte Dinge aufzuweisen hatte:
In einem Schaufenster sah ich einen elektrischen Joghurt-Bereiter, Marke Rowenta...Echt importiert! Wir waren so sehr an das schlichte Leben gewöhnt, dass mir dieses Haushaltsgerät als der Gipfel des Luxus erschien.
Iquique dürfte der einzige Ort in der einigermaßen zivilisierten Welt sein, der ein Verkehrsschild mit der Warnung "Achtung! Flugzeug kreuzt die Fahrbahn!" aufzuweisen hat. Tatsächlich führte der Zubringer zur Stadt über die Landepiste des Flughafens. Da musste man schon ganz besonders aufmerksam nach rechts und links gucken.

Es zog uns schnell weiter. Antofagasta ist die größte Stadt im Norden - was immer das heißen mag. Wir aalten uns im Pool des Deutschen Clubs, sahen im Hafen den Pelikanen zu, wie sie sich rund um die bunt bemalten Fischerboote mit den Möwen um Beute stritten. Gleißende Sonne, ewige Hitze, niemals Regen.
Wenn man dem Meer den Rücken kehrte, hatte man die ganze Stadt im Blick. Fein säuberlich in cuadras aufgeteilt, zieht sie sich langsam die Küstenkordillere hoch. Wie überall, wohnen die armen Leute in den Außenbezirken. Ihre bescheidenen Häuschen sind aus dem Material gemacht, das die Umgebung hergibt, und so verschmolz die Stadt mit der Wüste. Ich stellte mir vor, hier leben zu müssen. Nein, ich wäre mir eingesperrt vorgekommen. Die Atacama ist so gewaltig, so einschüchternd, ja, bedrohend.
Aber noch hatte wir ein paar Hundert Kilometer bis nach Arica, der chilenischen Grenzstadt mit Peru, vor uns liegen. Endlos die bergige Wüste, die sich nachmittags in blauen Schatten verlor.

Da war Arica, der nördlichste Punkt Chiles, ebenfalls eine Hafenstadt. "Stadt des ewigen Frühlings" wird sie genannt und hat eine echte Kuriosität zu bieten.
In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts fand ein, nein: d e r einzige Krieg statt, den Chile je erlebt hat. Es ging natürlich um wirtschaftliche Belange: Peru wollte sich die wichtigsten Salpeterminen ( die Kupfervorkommen wurden erst später entdeckt) unter den Nagel reißen, Bolivien den direkten Zugang zum Meer. Bis dahin durften die Bolivianer nur eine Art Korridor, der nach Antofagasta führte, benutzen.
Arica gehörte zu Peru. Noch vor Kriegsausbruch hatte die Regierung eine Kirche geordert, die in Lima stehen sollte. Erbauer, oder besser gesagt, Konstrukteur der Kirche: Gustave Eiffel. Ebenso wie sein Turm in Paris war die Kirche aus Metallteilen und -stangen erbaut. Die wurde auch brav geschickt und in Arica an Land gebracht. Nun hatten in der Zwischenzeit - wer hätte es je gedacht - die Chilenen große Gebiete erobert und unter anderem auch Arica eingenommen. Die Stadt wurde also chilenisch und ist es bis heute geblieben. Und die Kirche - die einzige, die Monsieur Eiffel je konstruiert hat - blieb eben da, wurde aufgebaut und ist noch heute zu besichtigen.

Chile gewann diesen Krieg; die Bolivianer verloren auch ihren Korridor zum Meer, haben die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben. Die bolivianischen Streitkräfte verfügen über eine Marine. Und die großen Motorboote, die den Touristen über den Titicaca-See transportieren, haben auf jeder Seite die trotzige Aufschrift "Hacia el mar!" "Auf zum Meer!"
Seit diesem Krieg können sich Chilenen, Peruaner und Bolivianer von ganzem Herzen nicht leiden. Und Argentinier schon gar nicht. Gute Nachbarn eben.

Nach einem ausgedehnten Frühstück ging es über die Grenze, nach Tacna, und da stellten wir fest, dass in Peru die Uhren anders gehen, und zwar war es dort gleich zwei Stunden früher. Das schrie förmlich nach einem nochmaligen ausgedehnten Frühstück...
Aber vorher noch tanken. Tanken?? Der Tankwart warf einen Blick auf unser chilenisches Nummernschild, schüttelte den Kopf und sagte, dass Chilenen hier kein Benzin bekämen.
Wie ihr inzwischen schon erahnt haben mögt, kann ich ein gewisses Temperament entwickeln. Hier entwickelte es sich blitzartig.
Da stand ein Polizist, und den schnappte ich mir und schleifte ihn geradezu zum Chile-feindlichen Tankwart. Es war dem Polizisten sichtlich unangenehm, dem Burschen sagen zu müssen, dass er uns Benzin verkaufen müsse - mir aber nicht.
Die zweite Begegnung mit einem Peruaner, die fast unmittelbar darauf erfolgte, verlief allerdings wesentlich entspannter. Wir hatte soeben wieder Fahrt aufgenommen, als uns ein Auto entgegenkam. Ich kurbelte das Fenster runter und rief ihm zu, ob er uns sagen könne, wie der Dollar-Kurs im Verhältnis zum peruanischen Sol de Oro sei ("Goldsonne" ist eine mehr als irreführende Bezeichnung der peruanischen Währung; es handelte sich dabei um klebrige, zerfledderte Lappen. Geldscheine blieben halt so lange im Umlauf, bis sie gänzlich zerfielen.)
Der Peruaner, der eigentlich geschäftlich in Chile zu tun hatte, quiekte geradezu vor Entzücken. Wir waren Europäer? Seine Frau sei Tschechin und hätte seit ewigen Zeiten keine Leute von dem alten Kontinent gesehen. Sprach`s , wendete und bat uns, ihm zu folgen. Er wohnte hier in Tacna und nannte eine halbverfallene Villa sein eigen, die in einem riesigen, völlig verwilderten Garten stand.
Seine Frau war begeistert. Europäer! Die südamerikanische Gastfreundschaft entlud sich über uns. Es wurde aufgetischt, erzählt, wieder aufgetischt. Die subtropische Nacht brach an. Die Bäume und die Blüten, meist Bougainvillea, die sich kaskadenartig über die Mauern ergossen, verströmten einen betörenden Duft, die Zikaden schrillten. Die Nacht war samtweich, der Rotwein floss in Strömen.
Irgendwann landeten wir im Gästezimmer im dritten Stock. Die Matratze des Bettes hing bis zum Boden durch, aber was machte das schon.
Am späten Vormittag gab es Frühstück. Der Hausherr erschien wieder - er war irgendwann in der Nacht entschwunden, "Geschäfte", meinte er nur.
Wir durften noch nicht gehen und blieben einen weiteren Tag und eine Nacht. Unser Gastgeber ging des Nachts wieder seinen Geschäften nach, die ganz offensichtlich das Tageslicht scheuten.
Am 3. Tag bestanden wir auf der Weiterfahrt, und schon wurden wir mit Unmengen von Vorräten bestückt. Ich erinnere mich an unzählige eisgekühlte Dosen Cola, die überall dorthin gesteckt wurden, wo noch Platz war.
Was hatten wir dem entgegenzusetzen? In weiser Voraussicht hatten wir stangenweise Zigaretten an Bord, gedacht entweder als Dankeschöns oder, ähem, mildes Bestechungsmittel.
Unsere Peruaner waren glücklich mit den Zigaretten und wir atmeten auf, als wir dieser etwas erdrückenden Herzlichkeit entronnen waren. Wir haben sie nie wieder gesehen.
Die Cola war noch eiskalt. Sie würde es nicht lange bleiben. Eine weitere Fahrt durch glühend heiße Wüste stand an.