Am Rande des Kontinents
Am Rande des Kontinents

Von der Wüste in die Tropen – Ecuador

 

Den Rückflug nach Lima traten wir in einer Maschine an, die hier die Attraktion jeden Schrottplatzes gewesen wäre. Ich setzte mich und stellte die Füße auf die Fußstütze. Die zerbrach in mehrere Teile.
Unsere völlig überarbeiteten Schutzengel winkten nur noch müde ab.

Bei der Weiterreise per Bus trafen wir schnell auf eine alte Bekannte: die Wüste. Sie blieb uns deshalb treu, weil uns immer noch zusätzlich die kalte Humboldt-Strömung im Pazifik begleitete, die Schuld an diesem Zustand ist.
Aber es konnte nicht mehr lange dauern. Nach jetzt fast 5000km Wüste am Stück konnte ich es kaum erwarten, endlich wieder Grün zu sehen. Wir fuhren eine lange Strecke direkt am Meer entlang - nicht nur am Meer, sondern am äußersten Rand eines Kontinents, eine merkwürdige Vorstellung.
So, hier musste bald die Stelle kommen, wo die Humboldt-Strömung eine rechtwinklige scharfe Wendung nimmt und im offenen Meer verschwindet. Alle paar Kilometer hüpfte ich ans Wasser, steckte den großen Zeh hinein - brrh, kalt. Und dann auf einmal: warm, sehr warm. Nun konnten die Tropen beginnen.
Sie begrüßten uns dann auch kurz vor der ecuatorianischen Grenze mit ausgedehnten Bananen-Plantagen. Über die reifenden Stauden waren transparente blaue Plastiksäcke gestülpt worden.
Was stand drauf? "Chiquita"...
Bananen waren eines der Themen Ecuadors. Es gab sie in allen Größen, Geschmacksrichtungen und - Farben! Tatsächlich fand man auf Märkten vorzugsweise Bananen mit roter Schale. Überraschenderweise gab es eigentlich nur eine Sorte ( kleine gelbe), die roh verzehrt wurde. Alles andere waren Koch- und Backbananen. Ich habe in Ecuador soviel Bananen gegessen - durch die "Verpackung" garantiert keimfrei - dass ich später Jahre gebraucht habe, bis ich diese Früchte wieder gern essen mochte.

Doch noch waren wir nicht ganz da.
Wieder eine kleine Hafenstadt, Tumbes. Sie war deshalb etwas Besonderes, weil hier Francisco Pizarro 1532 landete und unsägliches Leid und Zerstörung mit sich brachte. Die "conquistadores" aus Spanien sind unglaublich rohe und brutale Menschen gewesen, die nichts zu verlieren hatten. Es schüttelt mich, wenn ich daran denke, welche Verbrechen von ihnen begangen wurden. Und doch muss man den ungeheuren Mut bewundern, mit dem sie sich dem Unbekannten stellten und entsetzliche Entbehrungen auf sich nahmen.

Da, an einer Brücke, war die Grenze. Erst ließ sich der peruanische Zöllner in einen Sitz des Busses fallen. "Qué calor, welche Hitze", stöhnte er, fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn, "propina, propina!"
Bis dahin hatten wir zwar schon öfter von uns aus mit einem kleinen Geschenk unseren Wünschen Nachdruck verliehen, aber so unverhohlen war noch nie Bestechungsgeld eingefordert worden. Ich sah ihn mit kühlen Augen an - er könne gern den Bus durchsuchen, wir hätten nichts zu verbergen (hatten wir auch nicht, unsere bisherigen Einkäufe ruhten wohlweislich bei den Freunden in Lima). Er verzichtete auf eine Durchsuchung und winkte uns ungnädig durch. Na ja, es war wohl ganz ratsam, für die Rückfahrt ein paar Dollars zurückzulegen.
Am Grenzübergang trafen wir wieder auf den bezopften jungen Amerikaner in seinem himmelblauen, pyjamaartigen Anzug, der uns schon in Callao und Cuzco aufgefallen war. Da legt man unglaubliche Entfernungen zurück, fliegt dahin und fährt hierhin - und trifft häufig auf dieselben Menschen... Wir sahen ihn noch öfter, er begegnete uns auch am nördlichsten Punkt unserer Reise, muss aber dann weiter nach Kolumbien gezogen sein, während wir uns wieder gen Süden wandten.

Jetzt wurde es richtig heiß. Das war es zwar vorher auch gewesen, aber nun kam eine kaum zu ertragende Luftfeuchtigkeit dazu. Und damit - Ungeziefer. Die sensibleren Gemüter unter euch mögen bitte diese Auslassungen überschlagen.
Ganz schlimm war es in der Nacht. Das Licht unserer Scheinwerfer zog Unmassen von Käfern und Insekten und von überhaupt allem, was fliegen konnte, an. Sie prasselten gegen die Wände des VW.
Richtig grässlich wurde es, wenn wir an eine der vielen Kontrollstationen kamen. Sie wurden von hohen Bogenlampen erhellt, die aber immer nur in kurzen Intervallen aufblitzten.
Einer von uns musste jetzt raus, Pässe und Wagenpapiere vorzeigen und registrieren lassen. Was war ich froh, nur ein schwaches Weib zu sein, dem man d a s nun wirklich nicht zumuten konnte. Mein Mann rannte in einer Dunkelheits-Phase wie wild auf die Wache und raste dann anschließend genauso schnell zurück: vergeblich. Die Viecher saßen einfach überall, in den Haaren und - besonders fies - auch unterm Shirt. Also im Dunklen Hemd ausziehen und versuchen, alle Käfer zu erwischen. Gott sei Dank, geschafft. Der Bus fuhr wieder an, es knackte unter den Reifen und wir ließen eine Spur zermalmter Käfer hinter uns...

Eines fiel mir auf: es gab einfach keine Hinweisschilder auf Dörfer und Städte an der Panamericana, offensichtlich nach dem Motto: Wer hier wohnt, weiß sowieso, wo es wohin geht und wie weit das weg ist. Wir wollten heute noch bis Guayaquil kommen, der großen Hafenstadt, die direkt am Äquator liegt. Aber wie weit war es noch bis dahin? Ich fragte einen Bauern am Wegesrand und wusste sofort, dass ich mir das hätte sparen können. Sein unsicherer Blick verriet mir, dass er keine Ahnung hatte. Zwar nannte er uns eine Kilometerzahl - nicht, um seine Unwissenheit zu kaschieren oder um irgendetwas zusagen. Er war einfach nur höflich.
Das nennt man "Mentalität". Wer eine Frage stellt, hat das Recht auf eine Antwort, egal, ob sie nun stimmt oder nicht.
Nun ja, wir fuhren weiter und waren überrascht, dass Guayaquil nach nur kurzer Zeit auftauchte. Die Sonne ging gerade unter. Eine stinklangweilige Angelegenheit. Das ganze Jahr über pünktlich zur gleichen Zeit geht die Sonne - platsch - im Meer unter, der Übergang vom Tag zur Nacht vollzieht sich in kürzester Zeit. Eben noch strahlend hell - jetzt tiefdunkelschwarze Nacht. So etwas wie eine Dämmerung gibt es nicht.
Ein kleines Hotel war schnell gefunden - ein Königreich für eine Dusche- und dann machten wir uns auf den Weg zu "Telecomunicaciones Ecuatorianos". Tatsächlich klappte es mit dem Anruf nach Viña: den Kindern und Leonti ging es gut.
Erleichtert ging es ins Hotel zurück - meine Haare hingen mir schon wieder feucht ums Gesicht- und nach einer Nacht, in der ich länger unter der Dusche stand als im Bett lag, waren wir froh, dass wir diese Klima-Hölle mit ihrem grässlichen Ungeziefer schnell wieder verlassen würden.
Das nächste Ziel war Quito - 2800m in der Höhe gelegen.