Machu Picchu
Machu Picchu

Im Reich der Inka und Touristen

 

Bislang hatten wir von Peru nur Teile des Tieflands und etliche Küstenstädte, Lima inklusive, kennen gelernt.
Abgesehen davon, dass es immer spannend ist, ein neues Land kennen zu lernen, muss ich sagen : Peru hatte mir bis dahin nicht sonderlich gefallen.
Vielleicht war es die Trostlosigkeit der Landschaft oder schlicht der Gestank, der über den schmutzigen und ärmlichen Städten lag. Ich hatte mich während einer Nacht-Tour hinten im Bus schlafen gelegt und wurde wach durch elendigen Gestank. "Schon wieder eine Stadt?" "Chimbote," sagte mein Mann.

Nun erlebten wir ein ganz anderes Peru. Cuzco (oder auch "Cusco") liegt in gut 3.400m Höhe und ist die alte Inka-Hauptstadt. Obwohl die Spanier versucht hatten, Cuzco nach dessen Eroberung zu schleifen - sie haben es nicht ganz geschafft. So errichteten sie dann ihre Kirchen auf den Fundamenten der Inka-Tempel.
Viele Straßen werden noch heute von Mauern begrenzt, die sich durch fugenlose Verblockung auszeichnen. Es lässt sich unschwer erkennen, dass sich mit der Zeit die Technik der Zusammensetzung verfeinert hatte. So gibt es Mauern mit sehr ebenmäßigen Blöcken, aber auch die berühmte Mauer eines ehemaligen Palastes, in der lauter unregelmäßige Steine - eher kleine Felsblöcke - fugenlos zusammengefügt sind. Der Berühmteste unter ihnen hat 12 Ecken. Irgendwann saß ich in einer Pizzeria und sah plötzlich, dass eine Wand des Restaurants aus einer Inka-Mauer bestand.
Aber vorerst stand mir noch nicht der Sinn nach Erkundung und Besichtigungen. 3.416m über dem Meeresspiegel - das bedeutete für mich "soroche", die Höhenkrankheit. Sie macht sich durch Kopfschmerzen, Übelkeit und wackelnde Knie bemerkbar. Der europäische Organismus ist eben nicht auf die extrem dünne Luft, sprich den geringen Sauerstoffgehalt derselbigen, eingerichtet.
Die eben erwähnten Symptome mögen zwar lästig sein, sie sind aber nicht so schlimm wie die Gleichgültigkeit, die einen befällt. Das Hirn wird nur ungenügend mit Sauerstoff versorgt - das ist lebensgefährlich, wenn man sich in großen Höhen befindet. Es gibt dort viele tödliche Unfälle, weil Auto- oder Motorradfahrer unkonzentriert sind, wo "Straßen" oftmals nichts anderes sind als Wege über nackten Fels.
Ich sehe heute noch meine schöne Sonnenbrille neben mir auf dem Felsblock liegen, auf dem ich in 5.200 m Höhe saß. Ich habe sie da einfach liegenlassen, eine pure Trägheit des Hirns. Später hätte ich mich ohrfeigen können, als ich den Rest der Fahrt nur heftig blinzelnd zubrachte - die reine Höhensonne ließ nichts anderes zu.
Im Hotel in Cuzco gab es zur Begrüßung einen Koka-Tee, hergestellt aus den coca-Blätter, ein probates Mittel gegen die soroche. Es half aber nicht viel, da musste die gute alte Chemie ran - Bayer Leverkusen ließ grüßen...
Die Stadt ist eindrucksvoll, es gab viel zu besichtigen (allerdings war mein Bedarf an Gold-Monstranzen schon allmählich gedeckt), aber - sie stank ebenfalls erbärmlich, und zwar nach Urin. Wo sie gingen und standen, ließen sich die Indios recht zwanglos nieder. Die Frauen waren vor Blicken durch ihre Vielzahl von Röcken geschützt. Es hieß, dass die Indias immer 7 Röcke übereinander tragen und jeden Tag denjenigen, der sich zuunterst befindet über den obersten ziehen - nun, ja...
Es tut mir leid, aber Cuzco ist für mich immer mit diesem stechenden Ammoniak-Geruch verbunden.

So war es eine Erleichterung, als wir die Stadt kurzfristig für einen der Höhepunkte unserer Reise verließen.
Wir fuhren per Bahn nach Machu Picchu. Bis heute gibt es nur einen Wanderweg dorthin und eben die Bahn, die durch die tiefe Schlucht des Urubamba-Tales etwa 75 km in Richtung Nordwesten hinunterfuhr. Diese Inka-Siedlung liegt auf "nur" knapp 2.400 m Höhe, die Vegetation ist üppig.
Der Zug war proppenvoll. An der Endstation, Aguas Calientes, mussten wir uns brav aufstellen, weil alle Touristen mit Kleinbussen den 8 km langen Serpentinenweg hinauftransportiert wurden.
Ich schaute erwartungsvoll an dem Bergkegel empor, an dessen Fuß Aguas Calientes liegt. Obwohl ich wusste: da oben ist Machu Picchu, die Inkastadt, von deren Existenz die Spanier nichts wussten, die in Vergessenheit geriet und erst 1913 von einem Amerikaner wiederentdeckt und freigelegt wurde - es war nichts von ihr zu sehen.
Steht man dann oben, hat man einen ungehinderten Rundum-Blick ins Tal.
Aber noch stand ich eingekeilt zwischen zwei sehr dicken Amerikanern.
Er: "Come on, Marjorie!"
Sie: "I can`t because of this joker here!"
Der drehte sich bitterböse um. "I`m not a joker, madam!!" Ääh, meinte sie, sie habe nicht mich gemeint, sondern den Japsen neben mir...

Normalerweise hätten wir am späten Nachmittag mit fast allen anderen Touristen wieder die Rückfahrt antreten müssen, Marjorie und Gatte inklusive. Normalerweise..
Aber wir hatten es uns nun mal in den Kopf gesetzt, dort in dem kleinen Hotel bleiben zu können, um praktisch ungestört in dieser großartigen Ruinenanlage, die durch ein ausgeklügeltes Treppensystem miteinander verbunden ist, herumlaufen zu können.
Hätte ich Monate vorher Zimmer reservieren lassen sollen? Die Aussichten wären gleich Null gewesen. Ich verließ mich auf meine Intuition und die inzwischen schon beträchtliche Erfahrung mit "Wie-kriege-ich-das-was-ich-will". Nach menschlichem Ermessen würden wir kaum wieder hierher kommen können. Und so, ich muss es gestehen, ging ich sozusagen recht skrupellos zu Werk.
Ich rein ins Hotel und bat den recepcionista um ein Doppelzimmer. Der lächelte nur mitleidig: Alles ausgebucht. Ich ließ eine fürchterliche Lügengeschichte vom Stapel: Wir seien Angehörige der Deutschen Botschaft in Santiago ( leichtes Wedeln mit unseren Pässen), befänden uns auf einer Dienstreise und die Übernachtung hier sei mit eingeplant. Wir wären ja auch - haha - mit einer Badewanne als Bett zufrieden... Es war immer noch alles ausgebucht.
Ich erzählte weiter, lächelte mal wieder strahlend, schob diskret einen 10-Dollar-Schein über den Tresen. Der recepcionista meinte, dass ja vielleicht jemand, der reserviert hätte, aus irgendeinem Grund nicht kommen würde. Oh, es würde mir nichts ausmachen, zu warten! Noch einmal 10 Dollar.
Nach 20 Minuten hatte ich ein wunderbares Doppelzimmer.
Neben mir tobte eine Amerikanerin (Marjorie?): Sie hätte noch in Lima extra alles double-gecheckt und bestätigen lassen, und es wäre eine Frechheit, und alle Südamerikaner seien unzuverlässig...
Ich sah sie bar jedes Mitleids an. Hätte sie sich ähnlich verhalten wie ich, hätte sie halt den nächsten Gast, der schön reserviert hatte, rausgekegelt.
So konnten wir diesen atemberaubenden Ort fast alleine genießen, als die übrigen Touristen weg waren. Ein äußerst gemütlicher Abend mit einem franko-kanadischen Ehepaar als Gesprächspartner folgte.
Der Morgen war unvergesslich. Wir auf diesem Bergkegel, der Nebel lag ringsherum unter uns und verhüllte das Tal, die umgebende Hochkordillere lag in strahlendem Sonnenglanz. Das Schweigen war majestätisch.
Machu Picchu bewahrte sein Geheimnis. Kultstätte, oder eine einfach nur unvollendete Stadt, deren Bau durch die hereinbrechenden Spanier gestoppt, und die dann rasch durch die üppige Vegetation überwuchert wurde?

Am Abend waren wir wieder in Cuzco.