Die "Casa Rosada".       Foto: Anna Sommerer
Die "Casa Rosada". Foto: Anna Sommerer

Für eine Handvoll Dollars

 

Am 30. Juni 1974 flog ich von Santiago de Chile nach Buenos Aires, um einen Bankscheck in Dollars umzutauschen.

Das war damals nicht so abwegig, wie es heute klingt: in Chile hätte ich nur die nationale Währung bekommen – wir brauchten aber Dollars für die Reisen, die uns in die anderen südamerikanischen Länder führen sollten, und die gab es nun mal in Argentinien. Außerdem kostete ein solcher Flug damals umgerechnet etwa 20 Euro und ich hatte Winterferien.

 

Ich hatte mir noch einen Tag extra spendiert, weil ich Buenos Aires schon etwas kannte und das europäische Flair, das die argentinische Hauptstadt so als ziemlich einzige der südamerikanischen Großstädte hat, genießen wollte.

Der 30. Juni war ein Sonntag. Ich fuhr als erstes in das Hotel, das extrem zentral lag, nur etwa 200m von der Casa Rosada entfernt, dem Sitz der argentinischen Regierung. Die Calle Florida, d i e Einkaufsstraße schlechthin, war schnell zu Fuß zu erreichen, und auch dem Obelisken an der Avenida 9 de Julio konnte ich einen Besuch abstatten. Ein kleines Museum an der Plaza de Mayo hatte geöffnet. So ging der Sonntag auf sehr angenehme Art und Weise vorbei.

Montag früh konnte ich zu meiner großen Erleichterung gleich diesen Scheck eintauschen; nachdem etliche Formalitäten plus smalltalk plus einer Tasse Kaffee erledigt waren, ging ich beschwingt nach draußen, bereit zu einem kleinen Einkaufsbummel.

Prima Plan.

 

Die Szenerie, die mich jetzt auf der Straße empfing, traf mich völlig unvorbereitet.

Schnell wachsende Menschenschlangen standen vor nur noch wenigen geöffneten Geschäften. Unablässiges Rasseln kündete vom Herunterlassen der Fallgitter und Rollläden .

Ein Hubschrauber flog in niedriger Höhe über meinen Kopf.

Auf meine entsetzte Frage nach dem Warum erhielt ich die Antwort, die alles erklärte: Perón ist tot.

Argentinien ist schon immer ein wilderes Land gewesen als z.B. Chile, das bereits seit 1812 die Demokratie kennt. Der plötzliche Tod des Staatschefs verursachte unmittelbar ein politisches Chaos, Machtkämpfe entbrannten, ja, sogar einen Bürgerkrieg konnte man nicht ausschließen.

Ich hastete zurück ins Hotel. Das hatte wie von Zauberhand neue Gäste bekommen – es gab jede Menge Journalisten, die die Entwicklung beobachten wollten. Und die überschlug sich geradezu. Es hatte keinen Sinn, wieder in die Stadt zu gehen – alle Geschäfte geschlossen, kein Bus, kein Taxi, alles dicht. Ich hatte am Morgen schon meinen Rückflug nach Chile bestätigt gehabt, nur: wie zum Flughafen kommen?? Das Problem musste ich auf den nächsten Tag verschieben, irgendeine Lösung würde sich finden.

Den Nachmittag verbrachte ich in der Hotellobby vor dem Fernseher im Kreis der Reporter und Journalisten. In Deutschland lief die Fußball-WM, und wir sahen das Spiel Deutschland-Schweden (wenn ich mich nicht total irre). Zu meiner Familie in Chile konnte ich keinen Kontakt herstellen, die Telefonleitungen ins Ausland waren bereits gekappt worden.

Der nächste Tag brachte weitere unangenehme Überraschungen: die Lage hatte sich zugespitzt, Panzer rollten am Hotel vorbei und erinnerten mich unangenehm daran, dass ich mich in fast unmittelbarer Nähe des Regierungssitzes befand. Es gab kaum noch Hotelpersonal, und zum Essen lud ein genervter Mayordomo in einen kleinen Eßsaal zum „plato único“, zu dem einzigen Gericht, was sich noch zubereiten ließ. Ein Herr lud mich ein. Er sei Abgeordneter von den „peronistas“, der Partei Peróns, und käme soeben aus der Casa Rosada. Ich dachte daran, dass ich am Abend sowieso verschwunden sein würde und nahm die Einladung an. Der argentinische Abgeordnete ( so stand es auch auf seiner Visitenkarte) informierte mich über die Vorgänge. So sei Perón schon einige Tage vorher verstorben, man habe es geheim halten können, um bei dem erwarteten Machtkampf vorher schon die Positionen sichern zu können. Ein interessantes Essen, das kann ich versichern.

Nun stand die Frage an: wie gelange ich zum Flughafen? Und: geht überhaupt noch ein Flugzeug raus??

Ich tat mich mit einem amerikanischen Ehepaar zusammen, die auch einen Flug gebucht hatten. In schöner Gemeinsamkeit bestachen wir einen Hotelangestellten (wie gut, dass ich Dollars dabei hatte..), der uns tatsächlich nach Ezeiza wie der Flughafen damals noch hieß, verbotenerweise brachte.

Etwa um 18.00h sollte mein Flug gehen. Das tat er natürlich nicht, weil auch hier das Chaos ausgebrochen war. Kaum irgendwelche Angestellte, Unmengen von gestrandeten Passagieren, Cafés und Restaurants geschlossen, widersprüchliche Informationen, der Sprache nicht mächtige Ausländer, die keine Ahnung von den Vorgängen hatten und sich permanent beschwerten. Dabei taten sich übrigens Deutsche besonders unangenehm hervor.

Unter diesen Umständen musste ich 6 Stunden warten, nicht wissend, ob ich überhaupt wegkommen würde.

Um Mitternacht ging mein Flug. Als ich kurz vor der Landung in Santiago die winterliche Kordillere im Vollmondlicht in ihrer ganzen tief verschneiten Pracht sah, kamen mir die Tränen.

Ich hatte das letzte Flugzeug erwischt, das Argentinien noch verlassen konnte. Dann wurden für 3 Wochen die Grenzen dichtgemacht.

 

Vergangenheit und Gegenwart: Im Hafen von Buenos Aires     Foto: Anna Sommerer
Vergangenheit und Gegenwart: Im Hafen von Buenos Aires Foto: Anna Sommerer