Der Bulli und ich
Der Bulli und ich

Epilog

 

Die Reise war nun zu Ende.
In den fünf Jahren meines Lebens in Chile, das praktisch jeden Tag Überraschendes zu bieten hatte, bildete sie eine geschlossene Einheit in sich.
In komprimierter Form durfte ich weite Teile Südamerikas erleben; als Touristin zwar, als "gringa", aber eben einer, die u.a. mit der Mentalität vertraut war.
Fast 16 000 km lang war diese Fahrt, sie führte durch etliche Länder, unterschiedlichste Klimazonen, grandiose Landschaften, durch die Vielfalt von Indio-Kulturen, geschichtsträchtige Orte, rätselhafte Ruinen, aber auch in Großstädte.

Ich habe unendlich viel gesehen auf dieser Reise, aber die nachhaltigsten Erinnerungen sind die an Menschen. Vom etwas undurchsichtigen peruanischen Geschäftsmann und seiner tschechischen Frau in Tacna bis hin zu den Indios auf den Märkten, von den unterschiedlichsten Arten von Touristen bis zum chilenischen Grenzpolizisten, der mich lachend über die Grenze winkte - eine große Bandbreite von Menschen hatte sich vor mir aufgetan, die ich vor meist großartiger Kulisse erleben durfte.
So lernte ich auch die verschiedensten Arten von Selbstverständnis kennen. Diese Vielfältigkeit zeigte mir immer wieder deutlich, dass die deutsche Art zu denken und zu leben nicht die allein seligmachende ist.
Es wird anders gedacht, es gelten ganz andere Maßstäbe, was den Umgang mit Menschen betrifft. Ich bin in ärmster und ärmlichster Umgebung auf Würde und Gelassenheit getroffen - sogenannte "heruntergekommene" Gestalten habe ich nur in ein paar peruanischen Küstenstädtchen gesehen, aber auch da waren es nicht viele, und die meisten waren von überströmender Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit.
Eine weitere Erkenntnis dieser Reise war die Erfahrung, dass ich gut mit extremen Situationen zurechtkommen konnte. Geistesgegenwart bis manchmal hin zur Kaltblütigkeit war oft gefragt gewesen, und ich hatte es stets geschafft, häufig knifflige Situationen zu meistern. Man lernt eine ganze Menge über sich selbst dabei, und dieses Selbstbewusstsein verlässt einen nie mehr so ganz.

Die Reise wäre nur eine Aneinanderreihung von Fotos und Dias gewesen, die man später im Freundeskreis vorführt, wenn ich nicht die Sprache beherrscht hätte. Ich meine damit nicht die Art von Vokabular, die man braucht, um sich in einem fremden Land durchzuschlagen! In Südamerika hat das Wort ein viel größeres Gewicht als hier in Mitteleuropa. Das Wort ist alles, das Faktum ist nichts. Mit der Sprache taucht man in die Seele der Menschen ein. Indem man angemessen von ihr Gebrauch macht, öffnen sich die Türen und die Herzen.

Natürlich bin ich immer eine Fremde geblieben, aber zumindest eine, die verstand, wie man sich zu verhalten hatte, die Verhalten einschätzen konnte und die den Chilenen, Peruanern und Ecuatorianern mit Respekt begegnet ist.
Ich glaube, das ist das Zauberwort : "respeto", Respekt.
Und das gilt sicher nicht nur für Südamerika.