Wolken über der Atacama
Wolken über der Atacama

 

Durch die Atacama

 

 

Von Kollegen, die nach Deutschland zurückgekehrt waren, hatten wir einen VW-Campingbus gekauft - ein sehr bescheidenes Modell, gemessen an heutigen Standards. Aber er bot Platz zum Schlafen und Kochen.

Wir brachen gen Norden auf. Die Wüste kannten wir zum Teil; allerdings waren wir damals im Winter nach Antofagasta gefahren.
Die Panamericana verläuft schnurgerade. Sie brachte uns zuerst in den "Kleinen Norden", in die Vorwüste, in der es noch Kakteen gibt und ein paar tapfere Gräser. Allerdings auch - und wir hatten das Riesenglück gehabt, es erleben zu dürfen - ein Blumenmeer, wenn etwa alle 10 Jahre einmal Regen fällt. Zehn Tage später dann Blumen, soweit man blicken kann... Der Anblick ist so grandios, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Die Kinder springen herum, pflücken Blumensträuße und wissen nicht, wohin sie sich zuerst wenden sollen.

Wir genossen jeden Windhauch.
Stop in La Serena, eine am Meer liegende Stadt, die einzige, deren Innenstadt im Kolonialstil der Spanier gebaut ist. Wunderschön - aber alles fake... Vor langer Zeit hat ein ehemaliger Präsident, der von dorther stammte, die Stadt so umbauen lassen. Im 16. Jahrhundert waren zwar ein paar Spanier (z.B. Pedro de Valdivia) bis Chile gekommen, hatten einige Städte gegründet, aber Gold war hier wirklich nicht zu finden gewesen. Deshalb zogen sie auch schnell wieder ab, nicht ohne vorher das Amt des "Vizekönigs" zu installieren. Einer davon erwies sich überraschenderweise als sehr pro-chilenisch, viele Plätze, Straßen sind nach ihm benannt, und sogar auf der plaza von La Unión stand eine bronzene Büste von dem Mann mit dem nicht eben spanischen Namen "Bernardo O`Higgins"!
Die Architektur südamerikanischer Städte ist im Prinzip sehr langweilig. Sie sind alle geplant und haben praktisch alle den gleichen Grundriss. Begonnen wurde mit einer "cuadra", einem Quadrat mit genau festgelegten Abmessungen, an dessen Seiten die wichtigsten Gebäude errichtet wurden: Hier die Kirche - gegenüber die Bank. In der Mitte die plaza. War die cuadra umbaut, wurde im Baukastensystem die nächste an der bestehenden angelegt. Sehr langweilig, aber praktisch. Fragst du nach einer Adresse, dann heißt es: "Zwei cuadras geradeaus, drei cuadras links..."
Viele Südamerikaner empfinden deshalb das europäische Straßensystem als äußerst verwirrend.
In Vina del Mar hatten wir die Hausnummer 1549. Das bedeutete, daß wir 15 cuadras von der plaza, also dem Mittelpunkt der Stadt, entfernt wohnten.

Bald erreichten wir den "Großen Norden", die Atacama, die trockenste Wüste der Welt. Sie ist atemberaubend schön. Sicher, im grellen Mittagslicht sieht die Landschaft eintönig gelb-grau aus, Konturen sind kaum zu erkennen.
Aber im Morgen- und Abendlicht siehst du die Farbvielfalt der Berge. Die stammt von den verschiedensten Mineralien, die die Berge in dicken Adern schichtweise durchziehen. Und so sieht es aus, als hätte ein vergnügtes Kind des Universums mit einem Sortiment von ziemlich dicken Filzstiften gespielt und dicke Striche von orange, grün, gelb und blau aneinandergefügt.
Es ist heiß in der Atacama. Damals gab es noch keine Autos mit Klimaanlage. Also: immer viel Wasser an Bord haben und sich nicht ohne Kopfbedeckung der Sonne aussetzen. Das Thermometer im Bus zeigte 52 Grad. Das ist schon ganz schön warm, auch wenn es sich um eine knochentrockene Hitze handelt, die etwas leichter auszuhalten ist als feuchte.
Was tun? Die praktisch veranlagte Hausfrau denkt nach und findet eine einfache Lösung: sie klebt von innen Alufolie an die Fenster. Ein wahrhaft blendender Einfall, besonders für entgegenkommende Fahrzeuge. Nur gab es die praktisch nicht. Wie viele begegneten uns? Ein Auto pro Stunde? Und die Temperatur sank tatsächlich um etwa 10 Grad im Inneren des Busses.
Irgendwo stand am Rande der Straße ein Baum, der große Berühmtheit genoss. Er war der einzige auf Hunderten von Kilometern. Ein Schild steht da: "dame agua", gib mir Wasser! Natürlich hält jeder dort an und opfert eine Flasche Wasser.
Dann geht die Sonne unter. Nun schnell einen Schlafplatz suchen! Für ca. 20 Minuten herrschen angenehme Temperaturen. Schon wird es kalt, kälter, saukalt. Es gibt keine Wolken am Wüstenhimmel, keinen
Smog, einfach nichts, was die Hitze hindern könnte, sich ins Weltall zu verabschieden. Schnell in die Schlafsäcke gekuschelt. Am Morgen - die Sonne ist soeben zu erahnen - hat sich unsere Atemluft als Eis an den Fenstern niedergeschlagen. Wieder etwa 20 Minuten angenehme Temperaturen. Jetzt schnell frühstücken! Dann ist es nämlich schon wieder gnadenlos heiß.
Bei der Weiterfahrt halten wir an jeder Tankstelle, nicht nur wegen des Benzins. Wasser, Wasser, Wasser... Irgendwann, es musste ja so kommen, ist an einer Tankstelle die Pumpe "malo". No funciona. Da muss man eben stundenlang warten, bis jemand kommt und sie repariert. Sich aufregen nützt nichts, mit so etwas muss man immer rechnen. Also sitzt man mit anderen Gestrandeten zusammen, spielt Karten, räumt den Bus auf, wäscht ein bißchen Wäsche, die dann in Null Komma Josef wieder trocken ist, klönt, und wenn die "bomba" repariert ist, scheidet man wieder mal als amigo.
Ganz vereinzelt gibt es Oasenstädte. Vallenar ist so eine. Am Abend rollten wir dort ein - wie schön, ein Hauch von Grün und Zivilisation. Mein Blick blieb auf einem Fahrzeug haften. Das war doch nicht etwa...ein Auto?? Ein offenes Holzchassis, eine Art Windschutzscheibe, Speichenräder, mit Hartgummireifen bezogen. Die Batterie war außen am Chassis befestigt. Das "Armaturenbrett" wies zwei Knöpfe auf. Da - ein Herstellerschild: Chevrolet, 1916. Der Besitzer kam aus einem Geschäft heraus, ein sehr altes Männlein, Arzt von Beruf. Ja, viele Leute, besonders Amerikaner, hätten ihm sein Auto abkaufen wollen. Aber das ginge doch nicht! Er würde es doch brauchen, und außerdem müsse er schon lange nichts mehr fürs patente bezahlen.
Das glaubte ich ihm gerne. Das "patente", das Nummernschild, musste jedes Jahr neu gekauft werden. Je älter das Auto, desto weniger musste man zahlen - das chilenische Modell der Kfz-Steuer. Das Vehikel fuhr tatsächlich. Die extrem trockene Wüstenluft - es regnet nie in der Atacama - lässt keinen Rost entstehen und konserviert.
In Vallenar wird außer Wasser noch viel köstliches Obst und Gemüse an Bord genommen, aber nicht zuviel. Mitten auf der Strecke gibt es nämlich einen Kontrollpunkt mit Schlagbaum und allem, was dazugehört. Egal, ob von Norden oder Süden kommend, durfte man nichts an Lebensmitteln behalten, das Kerne, Steine oder Samen enthielt oder in irgendeiner Weise Schädlinge beherbergen könnte. Sogar verpackter, unangebrochener Tee wird aussortiert. Warum?
Zu der Zeit gab es keine Obstschädlinge in Chile. Diesen einmaligen Zustand wollte man natürlich unbedingt erhalten.
Also hinein ins Kröpfchen, was wir an Orangen, Chirimoyas, Melonen und Oliven noch als Vorrat hatten.
Und ich musste mir schon rechtzeitig Gedanken machen, wie wir auf der Rückfahrt so Sachen wie z.B. wundervoll geschnitzte Kürbisse aus Peru etc. würden durchschmuggeln können...

Es geht weiter. In Antofagasta wollen wir zwei bis drei Tage Rast machen, um dann in uns unbekannte Gefilde aufzubrechen.