Der Teppich aus Ecuador. Die Farben stimmen nicht  mit dem Original überein -   aber  man bekommt eine  Vorstellung.
Der Teppich aus Ecuador. Die Farben stimmen nicht mit dem Original überein - aber man bekommt eine Vorstellung.

 

Amazonas-Becken: Blasrohre und alternatives Duschen.

 

Schon öfter hatte ich die Erfahrung gemacht, dass die Riesen unter den Bergen den Betrachter durch ihre Masse und Höhe nicht erschlagen, sondern eher den Eindruck vermitteln, als schwebten sie. Das war mit dem Chimborazo auch nicht anders; wir bewunderten ihn schweigend.

Nachdem wir ihn passiert hatten, begann unser neuerlicher Abstieg von den ecuatorianischen Höhen, nur ging es diesmal nicht zur Küste, sondern in entgegen gesetzter Richtung zum Río Napo, einem mächtigen Fluss, der dem Amazonas zustrebt.
Schnell begegnete uns das wieder, was ich hassen gelernt hatte: tropische Hitze und Insekten - ständig präsent und unentrinnbar. Die Straße, die wir befuhren, musste mit großer Aufmerksamkeit bewältigt werden. Sie war sehr kurvig; zur rechten Seite fiel sie steil zum Fluss ab, links erhoben sich Felswände. Nun, gefährliche Straßen waren wir schon oft gefahren. Deshalb musste ich sehr lachen, als ich später in einem Buch über Ecuador - geschrieben von zwei Deutschen - über genau diese Strecke las, dass sie nur unter größter Lebensgefahr und mit Todesmut bezwungen werden könne. Die Schilderung ließ an Dramatik nichts aus. Ach, ja, ja, ja, klappern gehört nun mal zum Geschäft.
Der Schweiß lief mir übers Gesicht, ich fühlte mich am ganzen Körper klebrig. Selbst der Fahrtwind kühlte nicht. Wir bogen um eine Kurve, und ich traute meinen Augen nicht: ein wunderschöner Wasserfall ergoss sich über die Straße.
"Halt mal an", sagte ich zu meinem Mann.
Einige Minuten später boten sich dem Fahrer und den auf der offenen Ladefläche des Lkws stehenden Passagieren ein Anblick, der ihnen mit Sicherheit bislang noch nicht zuteil geworden war: eine verrückte gringa (bestimmt!) im Bikini, mit Shampoo im Haar und Seife in der Hand, die sich mit größtem Vergnügen wusch und duschte.
Auf den ungesicherten Ladeflächen standen immer dicht gedrängt viele Leute - es gab natürlich keinen öffentlichen Nahverkehr... Wenn dann so europäische Exoten wie wir auftauchten, war das oft ein Grund, sich ausgiebig zu präsentieren. Die Männer winkten und hüpften auf und nieder, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich dachte wieder einmal schaudernd daran, was passieren müsste, sollte der Fahrer unverhofft stark bremsen müssen. Andererseits war die Wahrscheinlichkeit, dass die Bremsen nicht funktionieren würden, sehr groß...
Der Fahrer hätte beinahe die Gewalt über sein Fahrzeug verloren. Er besann sich noch so eben, und der "Terror de las curvas", der "Kurvenschreck", passierte uns unbeschadet. Viele Lkw´s trugen fantasievolle Namen, die oberhalb der Windschutzscheibe (so es denn eine gab) aufgepinselt waren. Ich erinnere mich an ein besonders klappriges Vehikel, von dem ich sicher war, dass man - hätte der Besitzer es verkaufen wollen - den Fahrer gleich hätte mit verkaufen müssen; kein anderer hätte das Gefährt lenken können. Es trug den mehr als selbst bewussten Namen "La envidia te mata" - "Der Neid bringt dich um". Unser Neid hielt sich in Grenzen.

Die Erfrischung hielt nicht lange vor. Wir waren inzwischen fast am Ende dieser Straße angelangt, hinunter, hinunter nach Shell Mera. Richtig gelesen: der Öl-Konzern bestimmte das Bild. Doch ich hatte das Gefühl, dass der dichte Dschungel, der sofort hinter den wenigen, auf Stelzen stehenden Hütten - zum Schutz gegen Schlangen und anderes Getier - begann, jederzeit mühelos jedwedes Zeichen von Zivilisation verschlingen konnte.
Mit Shell Mera war die Welt zu Ende. Von da an ging es nur noch mit dem Boot weiter. Und da kamen auch schon ein paar Einbäume um die Flussbiegung. Es waren Indianer, die mit den zivilisierten Indios ( was immer das bedeuten mag), die wir zu Genüge kannten, nichts zu tun hatten. Sie tauschten Waren gegen Blasrohre. Wir erstanden einige dieser Jagdinstrumente, die dazugehörigen Pfeile im Köcher und die Baumwolle, mit der die Pfeile umwickelt werden, bevor man sie durch das Rohr bläst. Es funktioniert übrigens. Man versicherte mir, dass die Pfeilspitzen n i c h t in Curare getaucht worden seine. Das hätte mir noch gerade gefehlt: mit Giftpfeilen im Gepäck durch Tropenhitze zu fahren... Die Stimmung an Bord war immer häufiger eine gereizte...

Auf dem kleinen Marktplatz war ein Teil der Kaffee- und Kakaoernte zum Trocknen ausgelegt. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und habe ein paar Kakaobohnen gemopst. Sie schmecken tatsächlich wie bittere Schokolade.

Die Nacht brach herein. Wir schliefen wie gewöhnlich in unserem VW-Bus, d. h. , wir hätten gern geschlafen. Aber der Dschungel wird erst in der Nacht lebendig. Aus dem Urwald, der uns so nahe war, scholl eine Kakophonie von Tierstimmen. Es kreischte und brüllte, quakte und quietschte in unglaublicher Lautstärke. Dazu kam, dass Insekten aller Art uns im Bus peinigten. Ich rauchte aus reiner Verzweiflung eine Zigarette - der Rauch sollte die Viecher vertreiben. Tat er aber nicht. Die morgendliche Dämmerung sah eine völlig verschwitzte, übermüdete, zerstochene und äußerst wütende Hedi: hier wollte ich keine Sekunde länger bleiben. In solchen Momenten hat man absolut keinen Sinn für die Erhabenheit oder Einmaligkeit eines Anblicks. Man will ganz einfach nicht mehr da sein!
Das sah mein Mann tatsächlich ein, und wir fuhren den gleichen Weg zurück - es dauerte viele Stunden. Ich glaube, ich habe jeden Meter Höhe, den wir gewannen, persönlich begrüßt. Was für ein Aufatmen, als wir wieder "oben" waren und noch ein ganzes Stück in dieser Höhe weiterfuhren.
Wir kamen durch Städte mit so schönen Namen wie Ambato oder Riobamba. In Ambato kauften wir einen großen, handgewebten Teppich - den schönsten, den ich je gesehen habe. Eine unglaubliche Vielfalt von Vögeln und Baumranken war darauf, die Farbschattierungen nicht zu zählen, trotzdem bildeten all die vielen Farben eine wundervolle Harmonie. Mein Mann trennte sich von Teilen seiner Fotoausrüstung, um ihn bezahlen zu können. Ein paar Dollars mussten noch für dies und das auf der weiteren Rückreise übrig bleiben.

Allmählich zog es uns stark in Richtung Heimat. Im Bus war es auch nicht mehr so richtig gemütlich: schlafen mussten wir auf dem Teppich, außerdem war es nicht so einfach, den Blasrohren auszuweichen. Sie waren bis zu zwei Meter lang.
Also verließen wir Ecuador, durchquerten Peru, wo wir in Lima noch einmal Station bei den Freunden machten, bevor es auf den letzten Teil unserer großen Reise ging.