Wunder gibt es immer wieder

 

Diesen Song von Katja Ebstein kenne ich noch aus seinen Gründerjahren, habe inzwischen aber gelernt, dass man den Titel nicht immer unbedingt auf den Zustand der jeweiligen Fußball-Nationalmannschaft anwenden kann. Und dieses Mal sah es nun wirklich nicht gut aus: Verletzungspech ohne Ende, ein Ausfall nach dem anderen, ein Jogi Löw, der immer weniger sonnyboyhaft aussah bis hin zu drohendem Verlust der diplomatischen Beziehungen zu Ghana…

Keine guten Voraussetzungen für das Auftreten unserer Elite-Kicker. Aber ich habe schon diversen Stürmen des Lebens getrotzt und weiß, was ich unserer Elf schuldig bin. Also traf ich die nötigen Vorbereitungen für den ersten Auftritt der Unsrigen in Südafrika. Andere Leute bekämpfen ihre Nervosität und Aufregung durch Nägelkauen oder Kettenrauchen – ich lege zu diesem Zweck mein Strickzeug bereit. Socken stricken ist eine therapeutisch nicht zu unterschätzende Nerven-Beruhigungsmaßnahme. Die Finger sind beschäftigt (hingucken brauche ich schon nicht mehr) und werden somit abgehalten, sich an Knabberkram oder Schokolade zu vergreifen. So manches Länderspiel ist bereits die Mutter manchen Sockenpaares geworden, übrigens heiß begehrt von Familie und Freunden. Anfragen sind zwecklos, bin auf Jahre ausgebucht.

Das Telefon klingelt. „Mama? Ich wollte bloß noch schnell sagen… Jetzt muss ich aber los, Fußball kucken!“

Ich mache es mir gemütlich, draußen herrscht absolute Stille, kein Autogeräusch mehr weit und breit.

Also, dann! Die Australier legen los wie die Feuerwehr, bzw. tun so, als ob sie auf Känguruh-Jagd wären, um mal im Bild zu bleiben. Oh, oh. Die sind zwar nicht der Welt größte Fußballer, aber zäh und schnell und geben nie auf. Uiii! Noch gerade eben gut gegangen! Beinahe hätte es im deutschen Kasten geklingelt. Ich rufe mir schnell ins Gedächtnis, dass die Deutschen immer erst dann gut spielen, wenn sie hinten liegen… Und überhaupt: Sie sind doch geradezu der Inbegriff einer Turniermannschaft!

Aber dann: ich traue meinen Augen nicht! Ist das etwa unsere krisengeschüttelte Rumpeltruppe, die in den letzten Freundschafts-Länderspielen nicht eben sensationell gespielt hat? Sind das etwa die Spieler, die in der Bundesliga die Ersatzbank dauerbesetzen? Die nur manchmal gnadenhalber eingewechselt werden, wenn klar ist, dass das Spiel bereits gewonnen ist?

Podolski trifft. Ich glaube es nicht. Griff zum Telefon und den Freund im Ruhrpott angerufen. „Podolski trifft! Ich glaube es nicht!!!“ Er glaubt es auch nicht. Sagt dann aber, dass dem in seinem Verein schlicht die Wasserträger fehlen. Wasserträger? Gute Idee. Ich eile zum Kühlschrank, in dem eine Flasche des Lieblingsbieres ruht.

Schnell wieder mit Flasche und Glas zurück zum Fernseher und Strickstrumpf. Klose trifft. Ich glaube es nicht und lasse fast eine Masche fallen. Die Jungs spielen wie die jungen Götter, kombinieren, dass es einem die Tränen der Begeisterung in die Augen treibt, spielen mit Freude und Überlegung und lassen alles vergessen, was es im Vorfeld so gegeben hat. Ich höre die Vuvuzelas schon nicht mehr.

Der Schiri ist schnell bei der Hand mit den Karten. Ich finde, er sieht aus wie ein Tango-Tänzer ohne Bühne… Oh, Mist, zwei gelbe Karten für die Deutschen. Aber die socceroos trifft es noch wesentlich härter.

4 : 0 steht es zum Schluß. Die Bierflasche ist leer, der Socken ein gutes Stück gewachsen, das Spiel noch ausgiebig telefonisch kommentiert.

Wunder gibt es immer wieder“ summe ich hochzufrieden vor mich hin.

 

So, gleich geht es weiter: Niederlande gegen Dänemark. Her mit dem Strickzeug und, in Anbetracht der Tageszeit, mit der Teetasse.

Es lebe die Fußball-WM!

 

 

 

© Copihue (Hedi Glock) 2010