Speisekartenrassismus

 

Jetzt also die „Zigeunersoße“.

Natürlich habe ich mich daran gewöhnt, nicht mehr „Negerkuss“ zu sagen. Ich eine Rassistin? Niemals! Habe ich jedenfalls immer von mir gedacht. Aber wer hat denn schon jemals die Tiefen, besser gesagt: die Untiefen seiner Seele kompromisslos ausgelotet?

Und nun die „Zigeunersoße“.

Nicht, dass mich diese kulinarische Köstlichkeit jemals verlockt hätte, aber ich habe diesen Begriff bedenken- und gedankenlos hin und wieder benutzt. Nun bin ich zutiefst erschrocken. Also niemals mehr das Wort mit „Z“. Vielleicht „Sinti-und-Roma-Soße“? Klingt gar nicht gut und ist wahrscheinlich auch diskriminierend. Da muss sich eine andere Lösung finden.

Was mich nun wirklich erstaunt, ist der Fakt, dass man beim Ausradieren dieser Bezeichnung mit „Z“ einfach stehen geblieben ist. Dabei reicht doch ein einziger Blick auf die Speisekarte, um auf weitere skandalöse Benennungen zu stoßen, die nicht nur rassistisch, sondern ausgesprochen fremdenfeindlich und auch heftigst beleidigend sind.

Jägerschnitzel“. Mir stockt der Atem! Was für ein ins Lächerliche ziehender Name der betreffenden Menschen, und das auch noch gleich zweifach! Nicht nur wird suggeriert, dass das angesprochene Schnitzel von einem Jäger stammen könnte – Kannibalismus in deutschen Imbissstuben? - nein, den edlen Waidmännern wird auch unterstellt, dass sie gar nicht das Wild erlegen, sondern schlicht auf Schnitzeljagd gehen. Hahaha! Das bittere Lachen bleibt mir im Halse stecken.

Es kommt aber noch schlimmer. „Bauernfrühstück“. Was sagt mir das? Esse ich den Bauern ihr Frühstück weg? Oder werden hier Bauern verfrühstückt? Ein ganzer honoriger Berufsstand wird hier schutzlos der Gabel preisgegeben. Dagegen muss etwas getan werden!

 

Mein Blick bleibt an einem Begriff hängen, der mir langsam aber stetig die Schamesröte ins Gesicht treibt. Ja, gibt es denn keinerlei Sitte und Anstand mehr? „Imkerhonig“. Ich möchte überhaupt nicht wissen, welche Art von Nektar so ein Imker liefert. Das ist ja pervers! Möge derjenige, der auf die Idee gekommen ist, in alle Ewigkeiten kaltgeschleudert werden!!

Weiter unten auf der Speisekarte, bei den Getränken, da steht in aller Unverfrorenheit schwarz auf weiß: Tee „Ostfriesenmischung“. Haben die gebeutelten ( Tee-Gebeutelten?) Ostfriesen nicht schon genug Häme über sich ergehen lassen müssen, haben sie die schalen Ostfriesenwitze nicht mit stoischer Gelassenheit ertragen? „Ostfriesenmischung“. Es gibt keine gemischten Ostfriesen. Ostfriese ist man nicht nur der Herkunftsregion wegen, Ostfriese sein ist eine Lebenseinstellung. Das sind reinblütige Protestanten mit zumeist blonden Haaren und blauen Augen und heißen gerne Wübbo, Garrelt oder Hero mit Vornamen, falls männlich, oder Tabea, Fraukeline oder Lupkea, falls weiblich. Natürlich trinken sie traditionell viel Tee, aber der stammt aus Assam, Indien, und nicht von gemischten Ostfriesen! Diese Verunglimpfung der Menschen einer ganzen Region ist nicht hinnehmbar!

Sogar ganze Städte fallen dieser kalten Verachtung zum Opfer. „Leipziger Allerlei“. Ich bitte euch. Kennt ihr Leipzig? Eine wunderbare Stadt mit herausragenden Sehenswürdigkeiten. Was soll denn daran „Allerlei“ sein, zumal man diesen breiigen Begriff mit „Einerlei“ verwechseln könnte. Typisches Wessi-Gehabe, von dem ich glaubte, dass es längst überwunden sei.

Nur Leipzig? Ach, nein... Ich sage nur: „Hamburger“. Natürlich heißt eines der hamburgischen Nationalgerichte „Birnen, Bohnen und Speck“ und ist zugegebenermaßen recht nahrhaft, aber jedes Kind denkt doch an eine andere Kalorien- und Cholesterinbombe, mit der in diesem Fall die hanseatische Weltstadt verunglimpft wird. Soviel Bösartigkeit hat wahrhaftig niemand verdient.

Es gibt leider noch eine verhängnisvolle Steigerung . Ich hätte es nicht für möglich gehalten, Fremdenfeindlichkeit auf einer deutschen Speisekarte zu entdecken: „Wiener Würstchen“! Das ist unverzeihlich. „Würstchen“ ist eine herabsetzende Bezeichnung, und ich weiß wirklich nicht, weshalb man meint, unbedingt die Einwohner der österreichischen Hauptstadt beleidigen zu müssen.

Ich kann nur hoffen, dass das nicht weitere Kreise zieht. Der Bösartigkeit ist ja bekanntlich kaum eine Grenze gesetzt. Sogar bis ins Universum? „Zimtsterne“ sind ja noch harmlos – glaube ich jedenfalls.

Beim nächsten Restaurantbesuch werde ich aber bestimmt die Lektüre der Speisekarte verweigern. Ich lasse mir nicht Rassismus am Esstisch vorwerfen, wo ich doch selbst in meiner Kindheit schwerster Diskriminierung ausgesetzt worden war: „Tante Hedwig, Tante Hedwig, die Nähmaschine geht nicht, der Faden ist gerissen, Tante Hedwig hat gesch...“

Nun wisst ihr, weshalb ich so sensibel auf Verunglimpfung reagiere.