Gute Waage - Schlechte Waage

Oder:

Angewandte Urlaubsfolgenpsychologie

 

 

Zwei Waagen nenne ich mein.

Da ist erst einmal die gute Waage. Sie dient mir treu seit mehr als 8 Jahren und erzählt mir digital, wie superschlank ich bin. Warum sie mich so schamlos anlügt? Sie wird sich bald schlauerweise der Verantwortung dadurch entziehen, dass sie sich demnächst ins Waagen-Nirwana begeben wird, da ihre Batterien nicht erneuerbar sind.

 

Und dann gibt es die schlechte Waage. Sie ist britzelneu, formschön, voller Tatendrang und unerbittlich. Sie zeigt einfach alles an – den Fettgehalt des Körpers, den Body Mass Index, ihr wisst schon, also so ziemlich alles außer meinem Kontostand (das fehlte mir noch gerade!) und natürlich auch das Gewicht, das immer 1,3 Kilo höher liegt als bei der guten Waage. Ich kann nur froh sein, dass sie noch nicht auf die Idee mit den Soundeffekten gekommen ist. Zugegeben, ein Tusch bei einer Gewichtsabnahme ab 500 Gramm wäre ja ganz nett. Andererseits wäre es aber vollkommen unerträglich, wenn sie bei Zunahme des Gewichts Dinge von sich geben würde wie z.B. „Höhö, das war auch schon mal weniger“ oder „Na? Schon wieder alle guten Vorsätze dahin?“. Ich lasse mir von meiner Waage keine Charakterschwäche vorwerfen!

 

Vor ein paar Tagen bin ich aus dem Urlaub nach Hause gekommen. Zwei Wochen in einem Land, in dem man sogar noch in die Leberpastete Sahne kippt (schmeckt göttlich!), haben seine deutlich messbaren Spuren hinterlassen. Nun ist Schluss mit dem guten Käse und der gesalzenen Butter! Knäckebrot, Salat, magerer Fisch sind angesagt. Das Dumme ist nur, dass meine schlechte Waage meine Bemühungen überhaupt nicht honoriert.

Jetzt spiele ich sie gegen die gute Waage aus.

Falle ich gelegentlich den Versuchungen des Supermarkts meines Vertrauens anheim, dann stelle ich mich auf die gute Waage! Hah! Kein Gramm zugenommen! Halte ich ein paar Tage durch, trinke nur Mineralwasser und esse (fast) ausschließlich Obst, dann kann mir die schlechte Waage ruhig erzählen, dass immer noch zuviel drauf ist – ich weiß ja, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Dann bin ich gut gelaunt; trübe Messwerte können mir nichts anhaben. Ist die Gemütslage weniger stabil, dann ist da ja die gute Waage.

Sorge bereitet mir allerdings der Gedanke, dass sich ihre Lebensdauer bedenklich dem Ende zuneigt. Was mach ich bloß, wenn ich der Ungnade der schlechten Waage ausgeliefert bin? Einmotten? Mich bei Familie und Freunden umgucken, ob die noch so ein Uralt-Teil haben, das benutzerfreundlich misst?

Mir wird schon was einfallen. Ich setze einfach das Programm „Unsere Hedi erreicht bald wieder ihr Normalgewicht“ fort.

Allerdings zeichnet sich am Horizont schon der nächste Urlaub ab.