Die Meriten des Älterwerdens

 

 

 

Auf den ersten Blick gehört nicht viel dazu: älter wird man für gewöhnlich ganz von alleine - es sei denn, man hat diesem Prozess durch intensive Aufenthalte auf Sonnenbänken oder exzessiven Genüssen wie… (brauche ich nicht aufzuzählen) noch nachgeholfen.

 

Zugegeben, es ist nicht eben der Spaß schlechthin, im Spiegel die Anzeichen des Alterns zu entdecken. Diese werden oft mit dem Adjektiv „erbarmungslos“ versehen, aber – heh – das ist kompletter Blödsinn.

Möchtet ihr mit 55 so aussehen wie mit 25? (Sagt jetzt bloß nicht „Jahaa!“ - dasAussehen würde euch eh’ keiner glauben!). Und Fältchen setzen Akzente. Wer keine hat, ist entweder geliftet oder den Höhen und Tiefen des Lebens aus dem Wege gegangen. Na, ja, seufz, und dann gibt es noch die, die einfach verdammt gute Gene haben.

Wann habt ihr euch das erste Mal so richtig alt gefühlt? Oder zumindest „älter werdend“? Bei mir war es genau der Tag, an dem ich meine älteste Tochter ( damals 29 Jahre alt) fragte, was sie sich denn zu Weihnachten wünschte. „Ach,“ hieß es da, „ was ich dringend brauche, ist eine wirklich gute Anti-Augenfalten-Creme.“ Schlagartig fühlte ich mich nahezu greisenhaft.

Allerdings war ich dann wieder froh, dass ich wohl kaum jemals meinem persönlichen Matronen-Horror-Szenario entsprechen würde, was im übrigen so aussieht: Im Faltenrock Größe 54, darüber stramm gezogener Pullover (durchbrochen) mit Perlenkette, Plastikhaube als Regenschutz über gnadenloser Dauerwelle Modell “Blumenkohl“, Gesundheitsschuhen und schaukelnder Handtasche auf dem Weg zum Seniorentreff im Gemeindesaal, wo Kinder dann Blockflöte spielen…

Nix da! Wenn ihr bloß meine coole Lederjacke sehen könntet, die ich im Internet ersteigert habe!

 

Ich stelle auch fest, dass es mir mit den Jahren immer mehr schnuppe ist, was andere Leute von mir halten. Was „die Leute“ denken und sagen könnten, ist mir in geradezu besorgniserregendem Ausmaß egal. Ich kann meine Tante Grete (94) so gut verstehen, die letztes Jahr ihre Küche neu gestrichen und die Decke mit Farbtupfern verziert hat - sie hat den Pinsel in verschiedene Farbtöpfe getaucht und ihn dann hochschnellen lassen. „Das hat richtig Spaß gemacht!“ Glaube ich ihr.

 

Ich habe in meinem Leben schon fast alles erlebt, und das im Prinzip mindestens

zweimal. Und ich hoffe doch sehr, dass ich zu der Sorte Mensch gehöre, die beim Älterwerden großzügiger wird (von einigen, mir wesentlichen Dingen mal abgesehen). Die andere Sorte ist die ewig unzufriedene, griesgrämige, die Nörgel-Jammer-Klage-Truppe, die das Leben dafür verantwortlich macht, dass sie es nicht richtig gelebt haben.

Ein Mittelding gibt es überraschenderweise kaum. Offensichtlich verstärken sich beim Älterwerden die vorhandenen Charakterzüge - entweder weil das einfach so ist, oder weil der Mensch seine Neigungen hemmungsloser auslebt.

 

Was mir außerordentlich gut gefällt, ist das Reisen mit leichtem Gepäck, im tatsächlichen wie auch übertragenem Sinn.

Gedanklich belaste ich mich mit viel weniger, weil ich gelernt habe, dass man auf die meisten Dinge, die einem Sorgen bereiten, überhaupt keinen Einfluss hat. Es liegt nicht in meiner Macht, meinen Kindern die „richtigen“ Partner zu senden, und was die Entwicklung der Renten angeht…. Also ist es reine Energieverschwendung, sich damit den Kopf zu beschweren.

Zieht es mich zu einem Reiseziel, dann packe ich schnell meinen kleinen trolley, und –tschüß!- weg bin ich. Wenn ich mir meine Jüngste anschaue: was die allein alles fürs Baby mitnehmen muss, wenn sie wegfährt… und das Baby auch noch!

Überhaupt: was hat man ein Haus, eine Wohnung vollgestopft mit Sachen, die man meinte, unbedingt zu brauchen! Als ich das meiste davon los war, fühlte ich mich nahezu federleicht.

 

Beim Älterwerden befindet man sich quasi im permanenten Ausnahmezustand. Wenn du rechtzeitig anfängst, den gängigen Erwartungen nicht  zu entsprechen, dann kannst du dir eine Menge leisten! „Sie ist halt nicht mehr die Jüngste, wird wohl schon beginnender Altersstarrsinn sein,“ wird man dann halb entschuldigend, halb resigniert sagen.

 

Und du kannst machen, was du willst.