Der späte Herr Williams

Oder: Ich bin in der Notwendigkeit ihre Hilfe.

 

Ihr bekommt sie auch, nicht wahr, die herzzerreißenden mails, die euch einen fetten Anteil an den herrenlosen Millionen von zumeist US-Dollar versprechen, die auf fast vergessenen Konten in der ganzen Welt liegen und explizit nur auf euch gewartet haben.

Bekannt sind sie vor Jahren als „Nigeria Connection“geworden, als es noch recht fantasielos um Ölvorkommen in Nigeria ging.

Aber dann...

Nachdem ich durch die verschiedenen Stadien des Ärgers gegangen bin - „Warum muss man mich mit diesem Schwachsinn zuschmeißen?“ - und diese mails gnadenlos in den virtuellen Papierkorb gefeuert habe, kam die Erkenntnis: Moment mal – das wär doch was für dich.

Inzwischen hatte mich nämlich die Kreativität beeindruckt, mit der diese Schreiben verfasst werden.

Außerdem entwickelt man ja schon fast ein persönliches Verhältnis zu den Schreibern, wie z. B. zu Lieutenant Andrew Ferrara, der mich schon so häufig gebeten hat, ihm beim Bunkern der Drogenmillionen zu helfen,die seiner Patrouille in Afghanistan in die Hände gefallen ist.

Ach, Andrew, wie schade, dass du dies fette Geld offenbar immer noch nicht los geworden bist...

 

Andere bewegende Geschichten sind da viel interessanter. Es treibt mir die Tränen in die Augen, wenn ich von den vielen Flugzeugabstürzen lese, die ganze Familien auslöschen und die nun verwaisten Rohdiamanten eben dieser unglücklichen Familien ein neues Zuhause suchen, nämlich bei mir. Flugzeug-Crashs sind natürlich auch praktisch, da kann man eben hurtig ganze Familienclans über die Klinge springen lassen.

Wer denkt sich so etwas nur aus? Ich stelle mir das so vor: Da sitzen ein paar Leute zusammen und grübeln:

Hör mir doch auf mit dem Hubschrauberabsturz. Das haben wir doch genug gehabt. Hat nicht jemand eine bessere Idee? Schließlich werden wir doch ordentlich bezahlt! Aber kommt mir nicht wieder damit, dass unsere Kunden uns auch noch die Kennziffern auf der Rückseite ihrer Kreditkarte mitteilen sollen – so blöd kann nun wirklich keiner sein!“

Denn darum geht es ja, ich brauche es nicht extra zu erwähnen. Man möchte so gerne an die Daten deiner Konten kommen, ach, ja, so schrecklich gerne!

Übrigens: Im Netz werden tatsächlich Leute für das Verfassen solcher mails gesucht. Es muss sich also lohnen, oder den Verfassern sind die Todesarten ausgegangen, die die zumeist unrechtmäßigen Besitzer dieser sagenhaften Reichtümer virtuell dahingerafft haben.

Möchte mal wissen, was diejenige bekommen hat, die eine ganz neue Schiene gefahren ist: Die Story der Lady – sehr christlich gesinnt – die nur noch zwei Monate zu leben hat und dich bittet, das viele, viele Geld, erwirtschaftet aus dubiosen Geschäften ihres Mannes, an Bedürftige zu verteilen. Aber erst, nachdem du ihr deine Kontodaten übermittelt hast.

Ich bin übrigens froh, dass diese Lady immer noch lebt. Schon letztes Jahr erhielt ich dieses Schreiben – jetzt wieder. Aber die Tage der Ärmsten sind abermals gezählt: ihr bleiben nur noch zwei Monate auf der schönen Erde...

Doch ihre guten Wünsche sind mit mir:

LASTLY, I ALSO WANT YOU TO ASSURE ME THAT WHEN YOU RECEIVE THE FUND IT WILL BE USED FOR THE SAID PURPOSE. MAY THE GRACE OF OUR LORD JESUS THE LOVE OF GOD AND THE FELLOWSHIP OF GOD BE WITH YOU AND YOUR FAMILY. I AWAIT URGENT REPLY.

YOUR'S IN CHRIST

MRS SOINA WILLIAM


 

Ich fürchte nur, dieses Business wirft denn doch nicht soviel ab wie erhofft; jedenfalls nicht soviel, dass man einen anständigen Übersetzer anheuern kann.

Da sehe ich dann meine Chance.

Der späte Herr Williams“. Für den ist wirklich alles zu spät, weil nämlich „the late Mr Williams“ bereits längst in seinem Grabe ruht.

Herr Erwin ist in der Notwendigkeit meine Hilfe. Genau das, was ich brauche!! Ich hoffe, meine E-Mail trifft sie gut, meint er, aber mahnt mich, zu jeder Zeit ein niedriges Profil zu halten.

Mist. Mit meiner Karriere als Erfinderin von fake-Geschichten wird es wohl nichts werden.

Trotzdem werde ich auch in Zukunft mit Interesse diese mails lesen, die heimlich, still und leise durch meinen Spam-Filter schlüpfen, besonders diejenigen, die mit „Liebste..“ beginnen. Und die mit „God bless your dealings!“ enden.

 

 

 

(C) Copihue 2014