Was Kanäle mit Autos zu tun haben

 

Meine kleine Stadt ist eine so genannte Fehnkolonie, will heißen, sie ist auf Moorboden entstanden. Der ist nun ausgesprochen feucht, und wenn man ein Haus drauf bauen will, dann muss man ihn entwässern. Das war übrigens zur Entstehungszeit des Ortes eine unbedingte Auflage beim Hausbau, das Weitergraben des Kanals in Grundstücksbreite. So reihte sich ein Haus neben dem anderen.

Die Stadt ist die längste Fehnkolonie Deutschlands – sie ist 18 km lang, bei einer Einwohnerzahl von etwa 30 000 Menschen – und ist von einer Unmenge dieser kleinen Wasserstraßen durchzogen. Allein im Stadtgebiet beträgt ihre Länge 40 km.

Das ist ausgesprochen malerisch. Typisch für das Stadtbild sind die Nachbildungen alter Schiffstypen, die hauptsächlich in der Innenstadt vor Anker liegen und begehrte Foto-Objekte sind. Das größte liegt direkt vorm Rathaus vertäut und beherbergt u.a. das Standesamt. Möchte jemand von euch demnächst heiraten? Bitte schön, sehr romantisch das da auf der Brigg.

Im Winter ist es zauberhaft schön, wenn, wie in diesem Jahr, die Kanäle zugefroren sind. Dann laufen Jung und Alt Schlittschuh bei weihnachtlicher Illumination um die Schiffe herum; das lässt einen unweigerlich an die Bilder von Breughel denken… Ich gerate ins Schwärmen.

Wenn sie nicht zugefroren sind, dann sieht man häufig Angler an ihrem Rand sitzen oder Jungs, die mit Ruderboot und Käscher unterwegs sind. Ich habe noch nie gesehen, dass etwa ein Fisch gefangen worden wäre – vielleicht reicht ja auch der pure Spaß dran aus.

 

Allerdings landen auch häufiger Objekte im Wasser, die dann tatsächlich herausgefischt werden müssen, nämlich von der Feuerwehr, die einen speziellen Wasserrettungswagen hat.

Als ich zum ersten Mal in diese Stadt kam, war das ein sofortiger Gedanke gewesen: Wie häufig landen wohl Autos in den Kanälen?

Nach bald 24 Jahren vor Ort kenne ich die Antwort: häufig.

Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum vier Räder den Asphalt verlassen und samt Chassis und Insassen sich dem Nass anvertrauen, welches, nebenbei bemerkt, nicht sehr tief ist. Dafür aber ausgesprochen schmutzig – Moorwasser eben.

Eine Häufung dieser Vorkommnisse ist in der Weihnachtszeit zu beobachten. Zwischen dem Verlassen der Gaststätte, wo die Weihnachtsfeier stattgefunden hat, bis zum Eintauchen in das in diesem Fall ausgesprochen kühle Nass liegen oft nur Minuten oder sogar Sekunden. Ein Fall hat mich besonders beeindruckt: da lag zwischen Kneipe und Wasserbad nur etwa 50 Meter. Auf diesem kurzen Weg hatte der Fahrer es zusätzlich noch geschafft, ein Verkehrsschild und ein Kanal-Absperrgitter platt zumachen. Das soll ihm erst einmal einer nachmachen!

Für den Nicht-Einheimischen erweist sich die Straßen-, bzw. Kanalführung als ausgesprochen tückisch. Rechts und links der Kanäle verlaufen die Straßen parallel. Wer nun von so einer Rechts-Links (mit Wasser dazwischen) –Kombination in eine ebensolche links abbiegen muss, der kann unter Umständen das Pech haben, welches ein Professor aus Münster hatte, der an der hiesigen VHS einen Vortrag halten wollte. Beim Abbiegen war er geradewegs durch die Mitte gegangen. Den Vortrag hat er dennoch gehalten, weil ihm die Gattin des Volkshochschuldirektors ihr Badezimmer wie auch Kleidungsstücke ihres Mannes zur Verfügung gestellt hatte.

Gestern erst ereignete sich ein Unfall einer weiteren Kategorie: einer Dame aus einem Nachbarort war ein Überholmanöver misslungen. Das passiert schon mal; sehr gerne auch dann, wenn man einer Schwanenfamilie ausweichen muss. Ich sah den Spezial-Rettungswagen der Feuerwehr rasen und wusste Bescheid. Heute dann ein Foto in der Zeitung: das Auto war samt Fahrerin kopfüber in den Kanal gesegelt. Es waren aber gleich beherzte Passanten zur Stelle gewesen, die sie aus dem Fahrzeug gezogen hatten, und ihr war außer dem Schock nichts passiert. Aber das Auto…
Der unbeabsichtigte Abflug samt Fahrzeug in die Kanäle ist tatsächlich ein regionaltypisches Risiko.
Erst vor wenigen Tagen gab es ein Foto in der Zeitung, auf dem ein noch gewissermaßen mit den Rädern zappelndes Auto zu sehen war, welches kopfüber im Wasser stak. Anwohner und Passanten waren in heller Aufregung - der Fahrer schien noch unterm Wagen im Wasser zu sein, im Auto war er jedenfalls nicht. Die Feuerwehr raste heran (samt Wasserrettungswagen). Polizei erschien, die Malteser-Rettungsambulanz.
Und ein Taxi.
Aus dem stieg der Fahrer des verunglückten Vehikels, der unbemerkt aus dem Wagen gekrochen und davongeeilt war, um Hilfe zu holen.

 

Der Kanal ist also der natürliche Feind des (unaufmerksamen) Autofahrers.

Ich sinniere gerade über die Doppeldeutigkeit des Namens eines hier ansässigen Busunternehmens nach: es nennt sich „Kanalreisen“.

Wie meinen die das…?