Monokultur

 

Im letzten Herbst musste ich einige Wochen im Krankenhaus zubringen.

So etwas ist nicht schön, besonders wenn man bedenkt, dass man außer Operationen und all dem, was damit zusammenhängt, auch tapfer die Gegenwart von Zimmernachbarinnen ertragen muss.

Ich hatte im Lauf der Wochen fünf davon, die sich zwar in Alter, sozialem Umfeld und Bildungsstand erheblich voneinander unterschieden, von denen aber vier dieselbe Leidenschaft hatten: die täglichen Seifenopern.

Sie hatten alle viel Besuch, und ich fand bestätigt, was ich schon immer geahnt hatte: Plattdeutsch ist eine Sprache, die nur laut gesprochen werden kann („…und use Gustav is ok all föftig.“ „Nee, dat is ja wohl nich woar. Föftig all?“

Jo, de is all föftig.“).

Aber der Besuch ging, bzw. wurde so verabschiedet, dass man den bewussten Sender mit den Soaps rechtzeitig einschalten konnte.

Frau K. ,78 Jahre alt, verwitwet: „Och, ich kuck das, seitdem das angefangen hat, und dann will man ja auch wissen, wie das weitergeht – da ist vielleicht immer was los!“

Ich kann sie gut verstehen; wenn ich mein Leben lang Umländerwiek zweihundertundnochwas gewohnt hätte, würde ich wahrscheinlich auch nach der Figur des bleichen Barons lechzen, dessen Finger nervös mit einem Revolver spielen. Sein Mienenspiel hat nur eine Variante drauf: starr kucken.

Ich hatte mir bis dato noch niemals irgendeine Folge von irgendeiner Soap angesehen, noch nicht einmal Lindenstraße, von ein bis zwei Folgen der „Ewings“ vor 30 Jahren mal abgesehen. Wie soll ich z.B. Kolumnen schreiben könne, wenn ich pausenlos „GZSZ“ kucken würde? Oder „Verbotene Liebe“ – obwohl, das geht noch. Besonders, wenn man den Ton abschaltet. Meine jeweiligen Bettnachbarinnen schauten und lauschten ergriffen, während ich geradezu sprachlos war über soviel Flachheit und schauspielerischem Unvermögen.

Weil ich nun mal da lag und kaum meine Augen abwenden konnte, sah ich mir eine Folge mit geradezu klinischem Interesse an.

Die Familie sitzt zu Tisch und diniert. Die Schönen und die Reichen, und vor allem eine nicht mehr ganz so knackig Schöne und Reiche. Das einzige Mal, dass ich meine Kopfhörer eingeschaltet hatte, sagte die Dame: „Oh, übrigens, ich habe Max die Verwaltung der Aktienpakete überlassen – jemand was dagegen?“

Eisiges Schweigen. Auch ich schaltete auf „Ton aus“, weil Sätze so schlichter Schönheit einfach nicht durch Anhäufung von Trivialitäten zerstört werden dürfen.

Die Mienen der Familienmitglieder zeigten, dass sie sehr wohl etwas dagegen hatten, aber die Aktienpaket-Dame wurde nur kühl ignoriert.

 

Ab und zu wurde dies einseitige Programm durch ein anderes unterbrochen. Dies Krankenhaus ist ein sehr katholisches , und deshalb wurde die Heilige Messe am Sonntag übertragen. Bei Frau K. wurde das am Nachttisch befestigte Tischchen leer geräumt, ein Deckchen aufgelegt und eine Gas-Kerze aufgestellt, die – zack!- per Daumendruck zum Leben erwachte. ( Bei mir natürlich nicht, ich bin ja bloß eine Protestantin)

Der Gottesdienst war schon fast vorüber, die Kommunion wurde erteilt. Da flog die Zimmertür auf, eine Nonne kam herein geschossen und schob Frau K. eine Oblate in den Mund. Schon war die Ordensschwester wieder hinaus gestoben. Das Telefon klingelte. Frau K. hob ab und sagte undeutlich: „Ach du bist es! Ich kann nicht so gut sprechen, ich hab den Mund voll Kommunion.“

Und sie nahm die Fernbedienung in die Hand und schaltete den Sender mit den vielen, vielen Serien ein…