Der Irrtum der Touristen

 

Das Phänomen ist mir längst bekannt.

Da steht z.B. ein deutscher Tourist in einem dänischen Supermarkt am Gemüsestand und schreit quer durch den ganzen Laden zu seiner Frau hinüber, die eben Brot kauft: „Schatzi, brauchen wir noch Tomaaaaaaten??!!

Warum tut er das, was er zuhause niemals tun würde?

Ganz einfach: er ist einem doppelten Irrtum unterlegen.

Erstens ist er der Meinung, dass ihn niemand versteht, wenn er Deutsch spricht. Oh, oh. Gerade in Dänemark spricht, bzw. versteht ein Großteil der Bevölkerung Deutsch.

Gravierender ist allerdings zweitens der nächste Irrtum: Er glaubt - da dort ja keiner Deutsch versteht – gleichzeitig, dass ihn deshalb auch niemand h ö r t .

Er verwechselt also das Nicht-Verstehen mit dem Nicht-Hören-Können.

Das ist absurd? Mag sein, ist aber Tatsache. Ich habe dieses Schauspiel schon häufiger in hiesigen Supermärkten erlebt, wenn z.B. einige unserer holländischen Nachbarn lauthals die Vorzüge und eventuellen Nachteile des Kaufes einer Flasche „Mümmelmann“-Ersatzes diskutieren.

Das Hirn spielt einem einen Streich. Auch so geschehen und ewig unvergesslich, da die betroffene Person praktisch einen doppelten Irrtums-Salto schlug: Vor langer Zeit war ich in La Paz, Bolivien, in der Lobby eines Hotels mit einer deutschen Freundin verabredet. Sie war schon da, als ich kam. Ich sprach sie an, aber sie hörte mir gar nicht richtig zu. Auf meine Frage, warum sie denn so geistesabwesend sei, antwortete sie mir in normaler Sprech-Lautstärke: „Du, ich höre gerade zu, was da am Nachbartisch geredet wird. D a s ist vielleicht interessant!“

Im selben Moment erlosch das Gespräch nebenan schlagartig. Meine Freundin lief dunkelrot an, zischte mir nur zu: „Raus hier!“ und verließ fluchtartig das Lokal.

Was war passiert?

Da wir uns ja in einem spanischsprachigen Land befanden und auch schon jahrelang in Chile lebten, konnten wir Deutsch sprechen in dem Bewusstsein, dass uns keiner verstand. Davon war meine Freundin in diesem Fall auch ausgegangen, und ihr war völlig entgangen, dass es sich bei dem so interessanten Gespräch um Deutsch-Bolivianer gehandelt hatte, die ein Familienproblem erörterten – eine junge Frau der Familie war mit einem Zirkusreiter durchgebrannt – nur hatten sie es auf Deutsch erörtert…

 

Die sprachlichen sind allerdings nicht die einzigen Irrtümer der Touristen.

In meiner kleinen Stadt rollen täglich die Busse an, am Wochenende verstärkt, und unaufhaltsam ergießen sich die Ströme der Besucher.

Was passiert dann?

Sie streben en bloc über die Straße – die Ampel wird ignoriert – und nehmen noch nicht einmal wahr, dass ihretwegen Autos mit quietschenden Reifen zum Stillstand kommen.

Sie blockieren weiträumig den Fahrradweg. Ich betätigte die Fahrradklingel. Keine Reaktion. Ich stieg ab und erklärte ihnen, dass sie auf einem Fahrradweg stünden. Die Antwort bestand aus dem kollektiven Blick einer schlecht geführten Schafsherde. Ich habe mich und mein Fahrrad dann um die ganze Gruppe herumgeführt.

Wie kommt das?

Oder: zwei Angestellte der Meyer-Werft unterhalten sich an der Rezeption über organisatorische Dinge. Auf einmal ertönt aus ihnen unwillig zugewandten Touri-Gesichtern ein scharfes „Psst!!“.

Was soll das?

Ich fürchte, ich weiß die Antwort.

Die Touristen glauben, dass dieser Ort, den sie da besuchen, nur für den Zeitpunkt, den sie da sind, existiert; dass er ihnen exklusiv zur Verfügung steht, ihnen gehört und im Grunde kein Eigenleben hat. Die Einwohner dieser Stadt sind nicht wirklich da – nur das, was sie zu besuchen gedenken, ist für den Moment und ausschließlich für sie existent.

Überprüft das mal selber, wenn euch das nächste Mal ein Tourist anrempelt und dann diesen leeren Blick bekommt, wenn er euch notgedrungen bemerkt.

 

Was können wir daraus für unser eigenes Verhalten lernen, wenn wir selbst Touristen sind?

Noch nicht kapiert?

Na, dann fangt doch noch einmal von vorne zu lesen an…