Von Weinflaschen und Geldbündeln.

Einkaufen im real existierenden socialismo ( II )

 

 

Wenn man in ein fremdes Land kommt, lernt man manchmal umständehalber als erstes sehr merkwürdige Vokabeln. Eines meiner ersten Wörter war "hallanamiento" - Hausdurchsuchung.
Ein weiteres war "envase" - Verpackung. Das war deshalb wichtig, weil ich keine hatte.
Man konnte durchaus wichtige Dinge kaufen. So wichtige Nahrungsmittel wie Wein, zum Beispiel. Da sich im gesegneten Weinland Chile zu der Zeit niemand mit lumpigen 0,75 l - Flaschen o.ä. aufhielt, wurde der Wein in "chuicos", auch "Dama Juana" genannten 5l - Bauchflaschen verkauft. Aber nur, wenn man mit einer l e e r e n solchen anrückte. Dann bekam ich im Tausch eine gefüllte wieder. Woher sollte ich aber eine leere Dama Juana haben?
Da setzte dann die Gutmütigkeit, Großherzigkeit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit der Chilenen ein. Da war eine Familie, die keinen Wein trinken konnte, weil die entsprechende envase nicht vorhanden war?? Auch die Tatsache, daß ich offensichtlich Ausländerin war, jung und ein hilflos-bezauberndes Lächeln (hoffte ich jedenfalls, daß das so interpretiert werden würde) aufsetzte, half enorm. Der Händler gab mir zwei leere chuicos. Der Wein war ausgezeichnet und der Preis lächerlich.

Für die wenigen Dinge, die im Supermarkt zu haben waren, mußte man Einwickelpapier mitbringen. Bitte?? Ja, ja, selbst Waren, die schon eine Verpackung hatten, wurden noch einmal in Papier eingewickelt und hübsch mit Bindfaden verschnürt. Natürlich nicht von mir. Das machte ein Junge, der meiner Meinung nach in die Schule gehört hätte. Der trug mir dann die einzeln eingewickelten und verschnürten Waren ins Auto und bekam dafür ein Trinkgeld - Arbeitsbeschaffung auf chilenisch.
In La Unión stand die "Lino", die einzige Leinenfabrik Chiles. Ich weiß nicht, w i e oft ich da war, um Geschirrtücher, Tischdecken, Servietten zu erstehen. Aller-allerfeinstes Leinen, ich habe sie heute noch.
Erzeugnisse aus Wolle gab es wirklich genug: Pullover, Kleider, Decken aus recht rustikaler Schafwolle waren reichlich vorhanden..
Woran überhaupt kein Mangel herrschte, das waren Schallplatten und Bücher. Wie in allen sozialistischen Ländern sollte dem Volk Bildung zu erschwinglichen Preisen zugänglich sein. Wunderbar ausgestattete Bücher und Schallplatten jeder Art, und sie kosteten so gut wie nichts, wenn man , wie wir, ausländische Währung besaß. Die durften Chilenen nicht haben.
Da bin ich jetzt bei einem sensiblen Thema. Die chilenische Währung hieß damals "Escudo". Holte ich Geld von der Bank (übrigens mit einem Scheck, der hier in Deutschland noch nicht einmal vom Schlachter nebenan akzeptiert worden wäre), bekam ich zu Anfang 16 Escudos für eine DM. Offiziell.
Nun begab es sich aber, dass eine Menge reicher Chilenen nicht zu Unrecht a) um ihr Geld fürchteten und b) immer darauf gefasst sein mussten, eventuell sehr schnell das Land verlassen zu müssen. Da war es gut, wenn man ein Konto, sagen wir mal in der Schweiz, hatte, auf dem man harte Währung bunkern konnte. Die deutsche Mark zum Beispiel. Strengstens verboten, natürlich. Und da war es doch toll, dass da bundesdeutsche Lehrer waren... Um es kurz zu machen: kurz vor dem Putsch stand die DM auf dem Schwarzmarkt 1 zu 800 Escudos. Jesses. Ich bin damals mit DM 50,- im Monat ausgekommen, inklusive Miete, Telefon und Dienstmädchen.
Die Zustände waren unglaublich. Die Inflation raste, der offizielle Kurs kam dem inoffiziellen immer näher, die Preise schossen in schwindelnde Höhen, Geld wurde Tag und Nacht gedruckt... so wie in Deutschland Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Ich stand ständig vor dem Problem: Tausche ich heute Geld, ist es morgen nur noch die Hälfte wert. Tausche ich heute nicht, kann ich morgen schon nichts mehr dafür kaufen.
Und dann das Geld selbst! Die höchste Banknote, die es gab, war die 500 Escudo-Note. Ob legal oder unter aktiver Umgehung der Legalität - immer bekam man ganze Packen von Geld: 10 Päckchen zu jeweils zehn 500 Escudo-Noten ( habt ihr mitgerechnet? Richtig: 50 000 Escudos), fein mit Gummiband zusammengehalten. Und von diesen Packen gleich mindestens zehn, also eine halbe Million Escudos, wenn wir z.B. nach Santiago reisen mußten. Dann trug man in einer Extra-Reisetasche das ganze Geld mit sich...
Es war völlig irrsinnig. Man verlor jede Relation. Ein Wollkleid kostete 5 000 Escudos. Eine Übernachtung im Santiago Sheraton für uns alle vier ganze 4 000 Escudos. Was gab man als Trinkgeld? Keine Ahnung. Santiago Sheraton? So vornehm? Äh, das Personal hatte auch schon glanzvollere Zeiten gesehen. Zum Frühstück servierte der mayordomo mit versteinerter Miene ranzige Margarine - Butter gab es in Santiago nicht. Es war also ein stark gebremster Luxus.
Alle waren verunsichert. Auch die Geschäftsleute , die dazu übergegangen waren, ihren noch vorhandenen Warenbestand auf die Schaufensterscheiben zu schreiben. "Hay...(es gibt)" stand da, und dann folgte die magere Liste der zum Verkauf stehenden Waren.
Auf einer Scheibe stand lakonisch "No hay nada" - es gibt überhaupt nichts- und "no insista" - bitte nicht nachfragen. Ich hätte tausend Eide schwören können, dass für Dollars sich unterm Verkaufstresen plötzlich sehr interessante Dinge finden würden. Direkt nach dem Putsch erschien dann auch wie von Zauberhand alles, was das Herz begehrte - zu knallharten Preisen.
Aber noch ging ich , mit einem dicken, von Gummiband zusammengehaltenem Geldbündel in der einen Tasche , zum Frisör. In einer anderen Tasche hatte ich das Shampoo, denn sowas gab´s beim Frisör schon lange nicht mehr...