Temblor – Terremoto: Erdbeben

 

Gut, in Deutschland werden auch Erdbeben seismographisch registriert.
Aber wer das Echte liebt - the real thing, um es mal auf neudeutsch zusagen - der kommt nach Chile. Ein Großteil der Berge sind nicht nur schlichte Anhäufungen von Gestein. Es sind Vulkane. Der ebenmäßigste von ihnen ist unser Hausberg in Südchile, der Vulkan Osorno. Vergesst den Fujijama.

Welchen tektonischen Zerreißproben dieses schmale Land ausgeliefert ist, verdeutlicht der dramatische Höhenunterschied zwischen der Kordillere und dem Meeresgrund. Der höchste Berg der Anden ( mit vollem Namen: la Cordillera de los Andes) ist der Aconcagua mit knapp siebentausend Metern. Dann kommt das kleine Zwischenspiel - das chilenische Längstal - um dann sofort vor der Küste bis auf sechstausend Meter Tiefe auf den Meeresgrund zu stürzen. Da wackelt es dann schon mal heftig.

Es gibt sehr unterschiedliche Beben. Der temblor ist ein einziger Erdstoß - nur weiß man das vorher nicht. Ich erinnere mich an den Tag, als ich bei Kollegen zu Besuch war, die nördlich von Valparaíso in einem Haus am Steilhang der Küste wohnten. Prächtiger Ausblick aufs Meer.
Wir saßen am Tisch, als wir es spürten: ein sich ankündigendes Erdbeben hört sich so an, als ob eine riesige Eisenkugel unterirdisch mit dumpfem Grollen auf dich zurollt. Das mag vielleicht nur 30 Sekunden dauern, aber die reichen, um dir klarzumachen, wo du gerade bist, und ob du im Falle eines Falles die Chance hast, zu entkommen. In diesem Haus hätte ich sie nicht gehabt.
Keiner sagte ein Wort; wir starrten uns nur an, als wir uns langsam erhoben und uns auf dem Tisch abstützten. Temblor oder terremoto? Temblor. Ich bekam einen Stoß in den Rücken und fiel auf den Tisch. Nix passiert, aber der Puls beruhigte sich nur langsam. Man wusste auch nie, ob nicht ein zweiter oder dritter Stoß folgen würde.

In Südchile hatte es im Jahre 1960 d a s große Beben gegeben, das auch mit einem Seebeben -ein Tsunami- verbunden gewesen war. Noch Mitte der 70er Jahre waren die Folgen sichtbar: In der Bucht von Valdivia hatte sich das Wasser ganz zurückgezogen, die Schiffe lagen auf dem Hafengrund. Die Menschen liefen um ihr Leben. Jedes kleine chilenische Schulkind weiß, was ein Tsunami bedeutet. Dann kam das Wasser zurück: eine 15m hohe Flutwelle riss alles mit sich und schoss etwa 10 km landeinwärts. Das stand immer noch unter Salzwasser. Rechts und links der etwas erhöhten Fahrbahn der Straße ragten die Zaunpfähle ehemaliger Wiesen aus dem Wasser hervor. In der Bucht von Valdivia wuchsen erst ab 15m Höhe wieder Bäume.
Dieses Beben hatte den Süden schwer erschüttert, viele Opfer gefordert und großen Schaden angerichtet.
Und doch gab es dann die komischen Geschichten: die von dem Dienstmädchen, das die Abwesenheit der Herrschaften (es war ein früher Sonntagnachmittag) nutzte und heimlich im Badezimmer ein Bad nahm. Das Haus stand auf einem Hügel. Das Beben begann, die Holzwände des Hauses klappten auseinander, das Mädchen rutschte in der Badewanne sitzend den Hügel hinunter.
Ein Freund erzählte, dass ihn dieses Beben in höchst unwürdiger Lage überraschte. Er saß auf dem Klo. Er habe die ganze Zeit versucht, aufzustehen und dabei die Hosen hochzuziehen, aber jedes Mal sei die Wand auf ihn zugekommen und habe ihn wieder auf den Sitz gedrückt...und vor und zurück...und vor und zurück...

Es gibt verschiedene Arten von terremotos. Einmal kann der Boden in einer Wellenbewegung unter dir rollen. Du findest keinen Halt mehr; das Solideste, was dur dir vorstellen kannst - der Erdboden - wirft dich hierhin und dahin.
Die zweite Art ist noch fieser: ein schnelles Hin und Her und Rauf und Runter, begleitet von Rattern und Krachen- ein höllischer Lärm. Da geht dann gar nichts mehr.
Wir waren erst wenige Wochen in unserer neuen Heimat, als wir eine unschöne Kombination dieser zwei Erdbeben-Typen erlebten. Nun soll man sich sofort unter den Türrahmen stellen, da eine Zimmerdecke gerne in der Mitte einbricht und man unter dem Türsturz am besten geschützt ist. Ich hörte Wasser schwappen - unser 250l - Aquarium ergoß sich mitsamt Fischen schwapp rechts - schwapp links in unser Wohnzimmer. Meine Gedanken galten aber nur dem Baby. Meine jüngste Tochter hielt Mittagsschlaf in ihrem Zimmer im 1. Stock. Ich also die Treppe hoch. Das wollte ich jedenfalls, aber die rollte und schleuderte mich immer wieder zurück. Ich versuchte es auf allen Vieren - keine Chance. Das aus Holz erbaute Haus schwankte und bog sich. Ich habe das ganze Beben - 45 Sekunden?- auf dieser Treppe verbracht.
Dann war es still. Das Baby war nicht einmal aufgewacht. Meine 5jährige Tochter kam von draußen angelaufen. Mit ganz runden Augen rief sie: "Mama, Mama, eben bin ich die ganze Zeit hoch- und runtergehüpft und wollte das gar nicht. Das erste Erdbeben in meinem g a n z e n Leben!"
In meinem auch.