Siehe Vermerk Seite 18“


Missverständnisse zwischen anderssprachigen Menschen beruhen in den meisten Fällen nicht darauf, dass man die passende Vokabel nicht weiß. So ein Problem lässt sich häufig durch Mimik und Gestik ausgleichen.

Verständnisprobleme treten im Prinzip dann auf, wenn einem die Mentalität und Denkweise des Gegenübers aus einer anderen Kultur fremd ist.

Das gilt für beide Gesprächspartner.

Ein wundervolles Beispiel dafür habe ich – aus gutem Grund - schon häufig erzählt und hoffe, dass es sich auch schriftlich darstellen lässt.


In den ersten Monaten unseres Aufenthaltes in Chile fuhren wir immer mal wieder nach Argentinien hinüber, um dort die Sachen zu kaufen, die es in unserer Wahlheimat nicht mehr gab. An anderer Stelle habe ich schon darüber berichtet.

Natürlich benutzten wir stets den gleichen (und einzigen) Pass zur Überquerung der chilenisch-argentinischen Grenze, der hoch oben in der Kordillere lag. Wie es der Zufall so will, kannten wir den Zöllner. Er war der Vater eines Schülers unserer Schule. Das war sicher der Grund, dass sich dieser Mann eines Tages ein Herz fasste und mich etwas fragte, was ihn offensichtlich schon länger bewegte.

Señora“, begann er, „viele Ihrer Kollegen mit ihren Frauen benutzen auf ihrem Weg nach Argentinien diesen Pass, und ich trage dann selbstverständlich ihre Namen in eine Liste ein.“

Ja, natürlich, immer und überall hatte man seinen Ausweis vorzuzeigen, und die jeweiligen Zollbeamten oder Polizisten übertrugen dann Angaben daraus getreulich in ihre Listen, von denen sie wahrscheinlich keine Ahnung hatten, was sie bedeuteten.

Und da fällt mir schon seit langem auf,“ fuhr der Zöllner fort, „ dass die deutschen Frauen alle den gleichen Vornamen haben.“

Wie bitte...?“ Ich war mehr als verblüfft. „Nein, nein“, antwortete ich,“ wir haben genauso unterschiedliche Vornamen wie sie auch Chileninnen haben.“

Er beharrte aber auf seiner Ansicht, und so ging die Diskussion fruchtlos eine Weile hin und her, bis ich endlich auf den Gedanken kam ihn zu fragen, wie seiner Meinung nach denn der alleinige Vorname der deutschen Frauen sei.

Chäborränne!“ antwortete er prompt und ohne mit der Wimper zu zucken.

Es war einer dieser Momente, der einem größte Selbstbeherrschung abverlangte, auch wenn ich am liebsten in wildes Gelächter ausgebrochen wäre, weil mir augenblicklich klar war, weshalb der gute Mann glaubte, im Recht zu sein.

Dazu muss man wissen, dass jeder chilenische Bürger verpflichtet war, zwei Vornamen zu tragen – unabdingbare Voraussetzung dafür, die Schule länger als 8 Jahre zu besuchen. Ein Gesetz über diese Regelung existierte übrigens nicht, aber trotzdem... Die bundesdeutsche Tochter des Rektors unserer deutschen Schule hatte nur einen Vornamen, ging aber inzwischen in Klasse neun. Der Vater beugte sich dem Riesentrara, das daraus gemacht wurde und beantragte in Deutschland einen zweiten Vornamen für das Mädchen. Eine Namensänderung hierzulande braucht schon triftige Gründe und dauert sowieso ewig, und wenn man aus der Ferne darum ersucht und noch nicht einmal auf ein entsprechendes Gesetz des Gastlandes verweisen kann, dann dauert das noch sehr viel länger. Natürlich durfte das Mädchen den Unterricht weiterhin besuchen, ihr Fall war ja „en trámite“, dem Zauberwort für alles und jedes, „in Bearbeitung“. Tatsächlich nahm ihre Namensänderung irgendwann alle bürokratischen Hürden, und eines schönen Tages kam dann die Urkunde, auf der der zweite Vorname vermerkt war. Übrigens genau fünf Tage bevor die ganze Familie wieder endgültig nach Deutschland zurück ging, weil die Vertragszeit mit der Deutschen Schule abgelaufen war.


Nun hat aber jeder Bürger Chiles nicht nur zwei Vor-, sondern auch zwei Nachnamen. Ein Ehepaar hat offiziell keinen gemeinsamen Familiennamen; jeder Partner trägt den ersten Nachnamen seines Vaters und seiner Mutter.

So stand ich in meinem chilenischen Führerschein folgerichtig auch nicht mit dem Nachnamen meines Ehemannes – Köhler - sondern mit dem meines Vaters und dem Mädchennamen meiner Mutter als zweitem Nachnamen. „Glock Ebel“ also. Auch fanden sich dort meine beiden Vornamen, die ich aber an dieser Stelle ( und auch sonst ) nicht preisgeben werde.


Zurück zu den Höhen der Kordillere.

Ich bat den Zöllner, einen Blick in die Liste mit unseren Namen werfen zu dürfen. Da stand denn das, was mir soeben klar geworden war.

Die Zeile meines bundesdeutschen Passes, in dem „geborene Glock“ stand, hatte der Zollbeamte für den Ort genommen, an dem die Vornamen stehen. Und da sprach er eben das Wort „geborene“ auf Spanisch aus, was ich hier nur phonetisch mit „Chäborränne“ wiedergeben kann.

Da es sich bei den Frauen der anderen deutschen Lehrer um Ehefrauen handelte – das war in den 70er Jahren so; man war bitteschön verheiratet und trug den Namen des Ehemannes ! - waren die natürlich auch alle mit einem „geborene“ in ihrem Ausweis vermerkt.

Ich verkniff mir mit Mühe das Lachen und erklärte dem Mann das bundesdeutsche System der Namensgebung, was er mit ungläubigem Kopfschütteln zur Kenntnis nahm. Ja, ja, diese gringos - alles verrückte Leute. Aber wenigstens wusste er jetzt, dass deutsche Frauen nicht „Chäborränne“ hießen.


Wie so häufig, wenn man eine solche Geschichte erzählt, gibt es dann jemanden, der „Das ist noch gar nichts!“ sagt.

In diesem Fall tat es ein deutscher Kollege aus Valparaíso, und zwar zu Recht. Er habe auch mal in eine solche Liste geschaut. Sein Vorname dort habe tatsächlich „Siehe Vermerk Seite 18“ gelautet.

Des Rätsels Lösung: seine beiden kleinen Töchter waren in seinem Pass eingetragen – auf Seite 18 nämlich – und das fand sich eben auf der Zeile, die nach chilenischem Verständnis für Vornamen vorgesehen war.


Die vorhin erwähnte Tochter des bundesdeutschen Rektors unserer Schule ist inzwischen schon über fünfzig Jahre alt. Ich habe Kontakt zu ihr und weiß, dass sie ihren so mühsam erworbenen zweiten Vornamen mit Stolz trägt.


PS: Ein sehr schönes Postscriptum hat mir Freundin Beate geliefert, die Ende der 70er Jahre ebenfalls in Südamerika unterwegs war; zu Zeiten also, in denen noch die Gesichtsform im Pass vermerkt wurde.

Die Tatsache, dass sie im Besitz dreier Vornamen ist, muss die Zöllner in derartige Konfusion versetzt und überfordert haben, dass sie als ihren Geburtsort schlicht „Oval“ eintrugen.

Wenn man bedenkt, dass wir ja alle einem Ei entspringen, ist das ja noch nicht einmal so richtig verkehrt.


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