Reden ist Silber,

Ausreden sind Gold.

 

Bei den großen Urlaubsfahrten hatten wir selbstverständlich alle nötigen Papiere dabei: Pässe, Führerschein, Autopapiere und auch die Karte, die besagte, dass uns eine Vorzugsbehandlung seitens der „autoridades“ zustand.

Diesen Ausweis habe ich nur sehr selten benutzt – wer will schon von einer Militärregierung bevorzugt behandelt werden – eigentlich nur dann, wenn man eine lästige Prozedur einfach abkürzen, oder um der verfänglichen Frage „Haben Sie etwas zu verzollen?“ aus dem Wege gehen wollte.

 

Auf kleineren Wochenendausflügen war man gut beraten, ebenfalls alle Ausweise dabei zu haben, weil man jederzeit kontrolliert werden konnte. Das wusste mein Mann auch – nur ließ er mit großer Hartnäckigkeit diese Papiere ganz einfach zuhause.

 

Wir fuhren in die Kordillere. „Du weißt, dass es dort einen Kontrollposten gibt?“ „Mein Gott, das ist derartig abgeschieden, da ist auch nicht ständig jemand , wahrscheinlich ist niemand da!“ War aber, und der wollte dann tatsächlich den Führerschein meines Mannes sehen: „Sus documentos, por favor.“ Ich warf meinem Mann einen Blick der Marke „Na bitte, ich hab’s ja gewusst“ zu. Er entbehrte allerdings des Zusatzes “Bin mal gespannt, wie du aus der Nummer wieder rauskommst.“ Dazu war ich (bzw. er) schon zu häufig in ebendieser Situation gewesen… Er hatte eine Art, von dem gefragten Gegenstand zu einem anderen überzugehen, von dem er wusste, dass der in Südchile von größtem Interesse sein würde: Angeln. Er brachte das Gespräch sehr schnell darauf, und die Polizisten bissen erwartungsgemäß sofort an. „Importado??“ Ihre Augen wurden ganz rund, wenn mein Mann ihnen sein Sortiment der importierten Köder für Lachs und Forelle vorführte. Nun wurde gefachsimpelt; ab und an gelangte auch eines dieser begehrten Gegenstände in Polizistenhand. Man verabschiedete sich dann lebhaft unter den freundlichsten Bekundungen – die ursprüngliche Forderung „Sus documentos…“ war längst vergessen.

 

Aber diesmal hatten wir nichts dabei, was einen kontrollierenden Polizisten hätte ködern können. Mein Mann wühlte im Handschuhfach herum und zog ein Blatt Papier heraus, das immerhin Ähnlichkeit mit einem Formular hatte und hielt es dem Kontrolleur hoffnungsvoll unter die Nase. Nein, der wollte doch tatsächlich den Führerschein sehen.

Blitzschneller Seitenblick zu mir und die Frage auf deutsch: „Hast du deinen dabei?“ Na klar, hatte ich immer. „Los, gib ihn schnell her.“ Dann wandte er sich dem Polizisten zu und sprach das Zauberwort. Natürlich habe er einen Führerschein, nur der sei im Moment „en trámite“. Ich dachte einen Augenblick flüchtig darüber nach, aus welchem Grund ein Führerschein „in Bearbeitung“ sein könne.

Aber seine señora hier – los, Hedi, lächeln!! (ich lächelte schon) – die habe auch einen (er zeigte meine Fahrerlaubnis vor) und hätte auch fahren wollen!

Und dann kam’s. „Sie müssen doch einsehen,“ sagte er, „ dass ich es unmöglich zulassen kann, dass eine so junge und zarte Frau (ich lächelte immer noch) in diesem schwierigen und steilen Gelände fährt??“

Der Polizist schwieg beeindruckt. Er sah mich an. „Tiene toda la razón,“ sagte er zu meinem Mann, „ Sie haben vollkommen Recht, das geht nicht. Aber ihren Führerschein zeigen Sie mir dann bitte auf der Rückfahrt vor…“

So war das eben. Eine für chilenische Ohren plausibel klingende Erklärung, Freundlichkeit – und schon waren Schwierigkeiten beseitigt.

Bei Rot über die Ampel? Und die Polizei sieht das?? Kein Problem: Er käme, sagte mein Mann, eben vom Strand, er habe geangelt, und natürlichhabe er bei Rot halten wollen, aber der Sand habe sich in das Profil seiner Gummistiefel gesetzt, und –zack- sei der Fuß von der Bremse abgerutscht.

Er hielt das corpus delicti aus dem Fenster.

Mir war nie so recht klar, ob die Polizisten einfach nur verblüfft waren über den Einfallsreichtum dieses gringos und ihn in Anerkennung seiner Chuzpe unverwarnt weiterfahren ließen.

Nur eines wusste ich genau: auch auf dem nächsten Ausflug würde er seinen Ausweis nicht dabei haben.