Kleiner Geschichtsunterricht: Wie die Deutschen nach Südchile kamen

 

Rudolf Amandus Philippi kam im Auftrag seines Bruders nach Hamburg, um den Deutschen ein verlockendes Angebot zu machen. "Wenn ihr mit mir kommt, dann erhaltet ihr Land umsonst, eine Kuh dazu, und ihr braucht 15 Jahre keine Steuern zu zahlen."

Das lockte tatsächlich. Wir schreiben das Jahr 1850, und in Deutschland hatten einerseits große politische Umwälzungen stattgefunden, andererseits war die Industrielle Revolution auf dem Vormarsch.
Viele politisch Verfolgte sowie durch den Siegeszug der Technik arbeitslos gewordene Menschen folgten dem Ruf. Sie stiegen in Schiffe, die sie ins ferne Chile brachten. Wie aus den noch vorhandenen Passagierlisten hervorgeht, wurden auch gerne ledige Mütter mit Erleichterung von ihren Familien auf solche Schiffe abgeschoben.

Ich weiß nicht, ob die zukünftigen Kolonisten wussten, weshalb sich der chilenische Staat, dessen Abgesandter Rudolf Philippi war, derartig großzügig zeigte.
Chile ist ein sehr langes und sehr schmales Land. Santiago de Chile, die Hauptstadt, liegt etwa in der Mitte. So ca. 400 km südlich endete der Einflussbereich des Staates, dort begann das Land der Mapuche-Indianer. Sie waren ein kriegerisches Volk und sind tatsächlich nie mit militärischen Mitteln besiegt worden - das hat später der Alkohol geschafft.
Nun suchte man Leute, die man noch unterhalb der Mapuche-Region ansiedeln konnte, um die Indios gewissermaßen in die Zange zu nehmen. Dazu waren die Deutschen ausersehen.
Und die kamen also nach unsäglich entbehrungsreichen Überfahrten. Der Panama-Kanal existierte noch nicht, also mussten Feuerland und Kap Horn umrundet werden. Es wird von Schiffen berichtet, die bis zu 8 Monaten vor Kap Horn lagen, weil die starken Stürme ein Weiterkommen der Segelschiffe verhinderten. Die Sterberate war hoch.

Hatte man es dann tatsächlich geschafft, dann bekam man auch sein Land, nur: es musste erst noch gerodet werden... Das war sicher nichts für den Apotheker Karl Anwandter, einer der politischen Flüchtlinge, der sogar sein Klavier auf die große Fahrt mitgenommen hatte. Er als ehemaliger preußischer Landtagsabgeordneter führte die Verhandlungen, als sich herausstellte, dass nicht alle Zusagen seitens des chilenischen Staates eingehalten wurden.
Das muss ein zäher Menschenschlag gewesen sein, der die Überfahrt und dann die ersten Jahre im Urwald überlebte. Die Siedler waren fast vollständig isoliert. Die wenigen Kontakte nach Santiago konnten nur per Schiff hergestellt werden. Das blieb jahrzehntelang so und ist die Erklärung dafür, dass der Süden Chiles so unglaublich deutsch geprägt ist. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es dort alleine fünf Deutsche Schulen.

Die Deutschen in Südchile blieben also unter sich - mit allen Folgen. Man heiratete ausschließlich untereinander. Zwischen ihnen und den wenigen Chilenen lagen Welten. Es entwickelte sich ein Snobismus, der sich z.B. darin äußerte, dass eine alte Dame stolz darauf war, kein Wort Spanisch zu sprechen, obwohl sie ihr ganzes Leben in Chile verbracht hatte. ( Ich habe es ihr nicht ganz geglaubt )
Der Prozentsatz der Blonden und Blauäugigen war unglaublich hoch. So kam es dazu, dass mich ( dunkelhaarig und mit braunen Augen) eine Dame bei der Begrüßung mit hochgezogenen Augen betrachtete und sagte: "Sie sehen aber gar nicht aus wie eine Reichsdeutsche!"
Himmel, wo war ich da gelandet?? Ja, genau da.
Ein paar Jahre später wurde der älteste Sohn dieser Dame von seiner Familie verstoßen, weil er eine Frau heiratete, die n u r z u r H ä l f t e deutschstämmig war. Ich muss aber dazu sagen, dass die Ankunft des ersten Enkelkindes die Sache dann wieder ins Lot brachte.

Die Deutsch-Chilenen dominierten das geschäftliche wie soziale Leben im Süden Chiles, und sie schickten ihre Kinder auf eine Privatschule, nämlich die deutsche. So kam es, dass ich mich in der Rodolfo-Amando-Philippi Schule, La Unión als Klassenlehrerin einer 2. Klasse wiederfand, in der mich viele blondgelockte Kinder mit ihren blauen Augen ansahen, die aber zuhause schon kein Deutsch mehr sprachen. Im Ausgleich dazu konnte ich kein Spanisch - hervorragende Bedingungen für einen effektiven Unterricht!

Dieses Problem und noch ein anderer wichtiger Umstand, von dem im nächsten Kapitel zu lesen sein wird, brachten mich dazu, in schnellstmöglichem Tempo Spanisch zu lernen.