Führerschein a la chilena

 

Mein Mann und ich hatten jeder einen Führerschein, einen deutschen, versteht sich. Da wir uns vorstellen konnten, dass südamerikanische Polizisten noch nicht viele davon gesehen hatten, besorgten wir uns internationale Führerscheine. Schlau gedacht, nicht wahr?

Nicht schlau genug.
In Südamerika musste man seinerzeit in jedem Land und unabhängig vom jeweiligen Regime viele Polizeikontrollen passieren. Dort wurde der Führerschein angefordert und dann praktisch abgeschrieben. Schlecht, wenn da nur Deutsch steht; noch schlechter, wenn er - wie es beim internationalen der Fall ist - in mehreren Sprachen verfasst ist. Kommt mir jetzt nicht mit: "Wieso, das hat da bestimmt auch auf Spanisch gestanden, und dann hätten die das doch verstehen müssen!"
Meine Lieben, ihr denkt logisch, aber so eine eiskalte Denkweise gab es dort nicht. Südamerika und Logik - das verlangt nach einem eigenen Kapitel.

Nachdem nun häufig unsere Fahrdokumente in den Händen von ratlosen Polizisten herumgedreht worden waren, um dann größtenteils in irgendwelche Listen eingetragen zu werden, was ewig Zeit in Anspruch nahm, hatte Freundin Chabela Anwandter die zündende Idee: "Macht doch einfach den chilenischen Führerschein." ??? "Das schafft ihr schon, dann gibt es keine Probleme mehr."
So fanden wir uns eines schönen Tages auf dem zuständigen Amt ein. Da erfuhren wir, dass wir keine praktische Prüfung ablegen müssten - wir hätten ja einen gültigen internationalen Führerschein. Aber die theoretische, die müssten wir machen. ( Logik...?) "Na, bravo," dachte ich, "das kann ja nur schief gehen."
Theoretische Prüfung? Multiple choice - Fragen ankreuzen? Aber nicht doch! Ich wurde in einen Raum geführt, in dem eine etwa 3m breite und etwa 2m hohe, mit vielen Lämpchen, Hebeln und Knöpfen versehene Maschine stand. Ich durfte auf einer Art Schemel davor Platz nehmen. Dann wurde mir in rasendem castellano erklärt, was zu tun war... Ich verdrehte die Augen, verkniff mir ein irres Kichern und dachte nur daran, wie ich einen halbwegs würdigen Abgang würde hinlegen können.
Dann ging es los, und ich versuchte die Anweisungen zu befolgen, die ich sowieso nur zur Hälfte verstanden hatte. Ein Lämpchen leuchtete auf, ich zog einen Hebel. Ein Signal ertönte, ich trat auf eine Pedale. Die Maschine nahm an Geschwindigkeit zu, ich auch. Es pfiff und blinkte und hupte und ratterte, und ich zog und drückte, schob und trat mit Händen und Füßen - einfach irgendwas. Irgendwann war Ruhe. Mir war klar, dass damit das Kapitel "Führerschein" beendet war.
Die Tür ging auf. "Felicitación," hieß es. Man beglückwünschte mich zum erfolgreichen Bestehen der Prüfung.
Ich passte meine Gesichtszüge blitzschnell der Situation an. Ja, und da lagen die Dokumente (mein Mann hatte - Überraschung! - ebenfalls glorreich bestanden). Supi. Die brauchten nur noch unterschrieben zu werden. Jaaaa, das ging noch nicht. Warum nicht? Unsere "antecedentes" (heutzutage würde man "Daten" dazu sagen) seien nach Santiago geschickt worden. Dort würde überprüft werden, ob wir brave Menschen seien und nicht gegen irgendein chilenisches Gesetz verstoßen hatten. (Mir fielen auf der Stelle mindestens ein Dutzend ein) Wenn uns dann so eine Art Führungszeugnis ausgestellt worden sei, könne ich die Scheine abholen. Wann etwa? So in zwei Wochen...
Dies alles geschah in den ersten Monaten unseres Aufenthaltes, und ich war z.T. noch mitteleuropäischen Denkmustern verhaftet. Soll heißen, ich ging tatsächlich nach zwei Wochen hin. "Tut uns leid, Ihre antecedentes sind noch nicht da, kommen Sie bitte in zwei Wochen wieder."
Dieses Spielchen wiederholte sich noch zweimal. Inzwischen hatte ich schon eine Menge dazugelernt.
Oberster Leitsatz: Wenn du etwas erreichen möchtest, dann kannst du das Verfahren wesentlich verkürzen, indem du deinem Gegenüber die Verantwortung abnimmst, ihm aber sein Gesicht wahrst.
Ich also wieder hin. Ich konnte die verdammten Führerscheine s e h e n ! "No, senora, lo siento, tut mir leid, die antecedentes..."
"Ach," unterbrach ich ihn, " das ist geklärt. Ich habe mit Ihrem Chef telefoniert. Er hat gesagt, die antecedentes seien da."
"Ah, sí ?" Dann können Sie die Dokumente sofort mitnehmen", sprachs, unterzeichnete und ich rauschte hinaus, die Führerscheine fest in meiner Hand.
Ob die antecedentes jemals angekommen sind? Ja, woher soll ich d a s denn wissen?

Weil das so gut geklappt hatte, besorgten wir uns auch einen chilenischen Personalausweis.
Dafür brauchte man zwar keine Prüfung zu machen, aber ich sehe auf dem Foto aus wie eine Insassin vom Frauengefängnis Santiago: Die Ausweisnummer wurde auf eine Holztafel gesteckt, die man vor sich halten musste.
Aber eine großartige Aussage hatte dieser Ausweis, die sich todsicher bei keinem von euch findet.
Da steht nämlich ausdrücklich "...sabe leer y escribir" - ...kann lesen und schreiben.

Keine Insassin des Frauengefängnisses Santiago de Chile - Ausweisbild für meinen chilenischen Personalausweis und Führerschein.
Keine Insassin des Frauengefängnisses Santiago de Chile - Ausweisbild für meinen chilenischen Personalausweis und Führerschein.