Einkaufen im real existierenden socialismo ( I )

 

Neben der interessanten Aufgabe, Kinder zu unterrichten, deren Sprache ich nicht sprach, gab es eine, die schier unlösbar schien: Wo bekomme ich Lebensmittel her?
Es gab schlicht und ergreifend nichts zu kaufen. Die sozialistische Regierung hatte alle Preise festgelegt (niedrig, extrem niedrig), alle hatten Arbeit, alle hatten Geld - aber es gab sehr wenig, was man damit kaufen konnte. Im Supermarkt waren zu haben:
1. Handfeger
2. Backpulver
3. Rohrzucker ( von Fidel, dem sozialistischen Bruder)
Damit lassen sich nur begrenzt schmackhafte Mahlzeiten zubereiten.

Es gab nichts zu kaufen? Ööh, inoffiziell schon.
"Geh zum Immobilienmakler, der hat Butter." Solche und ähnliche Ratschläge bekam ich zuhauf, da Not nicht nur erfinderisch, sondern auch solidarisch macht.
Makler Moretti sprach ein bisschen Deutsch, da ging das Ganze noch, und ich kehrte triumphierend mit einem Kilo Butter heim - natürlich zu einem Preis, der mit dem offiziellen für die nicht vorhandene Butter nicht viel zu tun hatte.
An Gemüse und Obst war kein Mangel, wir lebten ja praktisch auf dem Lande, und Südchile ist eine äußerst fruchtbare Gegend.
Aber Mehl, Öl, Reis, Kaffee, Waschpulver , Zahnpasta, TOILETTENPAPIER?? Nur auf dem Schwarzmarkt.
Also lernte ich Spanisch - nicht aus dem Lehrbuch, dazu war keine Zeit, außerdem lerne ich sowieso nur durchs Hören. Ich habe pausenlos zugehört, analysiert, verglichen, nachgefragt, zögernde Versuche gestartet. Nachts sank ich fix und fertig in die Kissen.
Nach 2 Monaten war ich fit. Ich m u s s t e es einfach sein, und Motivation ist bekanntlich dem Lernen förderlich. Ich konnte sogar schon verhandeln!
Wenn einem unvermutet Schätze in den Schoß fielen, hängte man sich ans Telefon und rief die Leidensgenossinnen an: "Ich hab hier 10 Pakete Waschpulver, wer will eins haben?" Blöde Frage, das. Wir teilten. Es war wunderbar, und seitdem weiß ich, dass Lebensqualität und Konsumgüter nichts miteinander zu tun haben.

Nun gab es aber immer noch Dinge, die weder für Geld noch gute Worte zu kriegen waren. Da blieb nur eins, und es ist ja auch verjährt, und deshalb kann ich es zugeben: Schmuggel. Streng verboten!
In etwa 3 - 4 Stunden war man mit dem Auto über die Kordillere nach Argentinien gehüpft, nach San Carlos de Bariloche ( da, wo Prinzessin Máxima herkommt...), einem wunderschönen Städtchen, sehr malerisch an einem großen See gelegen. Bariloche war d a s Ziel aller argentinischen Hochzeitsreisenden, allerdings auch zweite Heimat für untergetauchte Nazis, auch viele Österreicher darunter.
Dort kauften wir ein. Unser Auto war ein VW Variant ( erinnert sich vielleicht noch jemand...?); das ist deshalb von Bedeutung, weil sich der Kofferraum unter der vermeintlichen Kühlerhaube befand. Der Motor war aber hinten, und zwar abgedeckt. Das wussten die Chilenen, und damit ihre Zöllner, aber nicht.
Wir bunkerten, was irgendwie ging und schickten Stoßgebete gen Himmel. Tja, und dann kam der Moment, als ein Zöllner den Werkzeugkasten aufmachte und dort auf etwas Rundem, Elastischem herumpiekte. Was das denn sei? Ich erzählte ihm strahlend, dass mein Spanisch noch nicht so gut sei, dass ich alle diese Bezeichnungen wüsste... !Ah," meinte er, "das ist wahrscheinlich Dichtungsmaterial." Ich nickte eifrig.
Wenn er gemerkt hätte, dass das Objekt ein runder Käse war, von dem ich nur die Verpackung entfernt hatte, dann hätte er angefangen zu suchen. Und hätte gefunden. Wir waren zwar im Besitz von Dienstpässen,die dem Status von Diplomatenpässen gleichkamen, aber im Ernstfall hätte uns das nur wenig genützt...

Der Apotheker des Ortes mischte ein grauenvolles Pulver zusammen, das er "Zahnpulver" nannte, und mit dem wir tapfer unsere Zähne putzten. Und die Wäsche wurde zwar sauber, aber von porentief rein konnte keine Rede sein!
Aus der Zeit habe ich eine andauernde Macke: Alles, was mit Körperpflege, Wasch- und Reinigungsmitteln zu tun hat, habe ich in erstaunlichen Mengen zu Hause. Wo andere nur e i n Duschgel haben, da stehen bei mir mindestens vier... Wem von euch kurzfristig ebensolche Artikel ausgehen sollten, braucht nur bei mir anzufragen!

Ich weiß, es ist schon spät, aber die skurrilste Begebenheit habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben.
Das Telefon klingelt. Verschwörerstimme: "Kommt heute Abend und bringt eine Plastikwanne mit!" Im Schutz der Dunkelheit machten wir uns auf den Weg.
Unsere Freunde hatten geschlachtet - schwarz, versteht sich. In Allendes Regierungszeit durfte niemand privat schlachten.
Das Rind war schon zerlegt - im Wintergarten! Bei heruntergelassenen Jalousien und unter Palmen wurden die Fleischstücke an die herbeigeeilten Freunde verteilt. Ich kam mir vor wie im Kino, Abteilung: Der surreale Film...

Nun habe ich von Dingen erzählt, die man n i c h t kaufen konnte. Aber natürlich gab es viele schöne Sachen zu erwerben - aber auch das hatte seine Tücken.