Der Aufbruch

 

Anfang Februar 1973 machten wir uns auf den Weg: Mein Mann und ich, unsere zwei Kinder im Alter von 5 Jahren und 9 Monaten und 8 Koffer - in Europa war noch Winter, und wir würden durch jede Menge Klimazonen reisen, um dann im chilenischen Herbst anzukommen. Der Weg - das war eine Schiffsreise auf der "Verdi", eines der letzten Passagierdampfer, die es gab. Tatsächlich waren wir die letzten Auslandslehrer, die per Schiff reisen durften. Diejenigen, die nach uns kamen, mussten ins Flugzeug steigen, um dann nach mindestens 24stündigem Flug erschöpft auf dem Flughafen von Santiago, Pudahuel, aus dem Flieger zu purzeln.

Wir nicht. Wir reisten sogar 1. Klasse - was nicht so schrecklich viel hieß, weil der Luxus eher bescheiden war. Nach dem ganzen Stress mit den Umsiedlungs-Vorbereitungen genoss ich es ungeheuer, vier Wochen lang nicht ein einziges Mal über "Was koche ich heute" nachdenken zu müssen.

Die Reise begann in Genua, es ging runter nach Neapel, quer durchs Mittelmeer nach Barcelona, und dann kam ein bewegender Moment: es muß gegen Mitternacht gewesen sein, als wir die Straße von Gibraltar passierten. Es waren Lichter auf dem Felsen zu sehen - der letzte Gruß von einem Europa, welches wir lange Zeit nicht mehr wiedersehen würden.

Teneriffa, ja, das klang noch nach Urlaub. Wo immer es ging, gab es einen Tag Landgang - aber nun lag der große Atlantik vor uns. Eine knappe Woche nur Wasser, Sonne, fliegende Fische, aalen am Pool, köstliches Essen und abends Tanz in der Bar... Ich sage euch, es g i b t Schlimmeres, und all das wurde uns auf Kosten des deutschen Steuerzahlers geboten!

Der italienische Kapitän und die Offiziere vertauschten ihre dunkelblauen Uniformen mit den weißen. Wir befanden uns allmählich in den Subtropen.Eines Morgens sah ich beim Aufwachen, dass wir durch viele bewaldete Inselchen glitten - Venezuela war erreicht. Zwei Tage später machten wir einen Boxenstop in Curacao. Es mutete völlig verrückt an: wir befanden uns in der Karibik und dort in einer kleinen Stadt, die ebensogut in den Niederlanden hätte stehen können, nur die Einwohner waren alle dunkelhäutig... Was tat ich bei meinem ersten Aufenthalt auf einer Karibik-Insel? Na klar, ich suchte einen Supermarkt, wo ich Wegwerfwindeln kaufen konnte!

 

Das Eindrucksvollste dieser ganzen Reise war für mich die Fahrt durch den Panama-Kanal. Schleuse um Schleuse wurde das Schiff angehoben, es war absolute Zentimeterarbeit. Wir hingen den ganzen Tag über der Reling und konnten mit den Fingerspitzen fast die Schleusenmauern rechts und links des Schiffes berühren.

Einen Eindruck von den immensen Ausmaßen Südamerikas bekamen wir dadurch, dass ab dem Panama-Kanal noch eine 1 1/2 wöchige Reise vor uns lag, bis wir unser Ziel erreichten. Auf der Weltkarte sieht dieser Kontinent immer nur so aus wie ein verunglücktes Stück Torte - aber dieses Stück ist groß!!

 

Nach exakt 4 Wochen und etlichen Aufregungen - Bombendrohung vor Kolumbien; in Guayaquil (Ecuador) enterten Piraten das Schiff und klauten alles, was nicht angeschraubt war- lief die Verdi in den Hafen von Valparaíso ein.

Wir waren da. Das große Abenteuer konnte beginnen.