Bankgeheimnisse


Der von der Bundesrepublik Deutschland in die weite Ferne entsandte Lehrer bekam sein Gehalt auf ein Konto in der Heimat.

So weit, so gut, aber von nun an wurde es kompliziert.

Wir hatten unser Gehaltskonto bei der bekanntesten deutsche Großbank, die uns jeden Monat die Auszüge per Luftpost zuschickte. Wir dürfen nicht vergessen, dass ich von Zeiten schreibe, die kein Internet oder eine vergleichbare Kommunikation kannte. Steinzeit, gewissermaßen.

Vor Ort gingen wir – d.h, eher ich – dann mit einem Scheck in die Bank, mit dem ich in der Heimat schon beim Bäcker nebenan Schwierigkeiten beim Begleichen der Rechnung gehabt hätte, auf den mir aber jede chilenische Bank Geld auszahlte, soviel ich wollte. Natürlich nur, wenn das Konto auch gedeckt war – da gab es keinen Unterschied zu deutschen Geldinstituten.

Das war schon eine arge Prozedur. Weil auf meinem Scheck ja ein DM-Betrag eingetragen stand, musste erst einmal der gültige Wechselkurs ermittelt werden, der in Santiago festgesetzt wurde , und zwar nach dem Motto: „Ob er aber über Oberammergau, oder aber über Unterammergau, oder aber überhaupt nicht kommt, ist nicht gewiss...“

Der Gang zur Bank glich häufig genug einem va-banque -Spiel. Man verzeihe mir den Kalauer. Es brauchte oft mehrere Anläufe, ehe man endlich die chilenischen Banknoten in der Hand hielt.

Unvergessen bleibt der Tag, an dem ich schon zweimal vergeblich vorgesprochen hatte und auf ganz bald vertröstet wurde. Jetzt, beim dritten Mal, wollte ich nur genervt wissen, ob der Tageskurs endlich übermittelt worden war, mehr nicht. Also parkte ich vor der Bank bei laufendem Motor in der zweiten Reihe, warf die Autotür mit Schwung zu – und wusste im gleichen Moment, dass ich die Verriegelung betätigt hatte und nicht mehr in das Auto hineinkam. Der Schlüssel steckte ja im Zündschloss. Entschlossen winkte ich ein Taxi herbei, das mich umgehend zur Deutschen Schule brachte. „Warten Sie“, sagte ich und stürmte in das Gebäude und in den Klassenraum, von dem ich wusste, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit mein Mann darin unterrichten würde. Und der hatte den Ersatzschlüssel bei sich.

Ich brauche den Autoschlüssel!!“ Er fragte Gott sei Dank nicht lange. Ich rannte zurück und sprang in das wartende Taxi, welches sofort wieder zur Bank zurückfuhr. Mein VW-Bulli stand friedlich vor sich hintuckernd und wartete auf Frauchen. Es hatte sich schon ein kleiner Stau gebildet, aber wenn dann eine junge Frau angerannt kommt und sämtliche Zeichen der Entschuldigung signalisiert, dann ist alles gut.


Warum, werden einige praktisch denkende Leser jetzt denken, warum hat sie sich nicht ein Konto eingerichtet, das sie immer mit soviel Geld bestücken konnte, wie die Familie im Monat brauchte?

Hätte ich machen können. Dazu hätte es aber der schriftlichen Einwilligung des Ehemannes (!) und des Direktors (!!) der Deutschen Schule Valparaíso bedurft. Was zuviel war, war zuviel; das erlaubte mir mein Stolz nicht. Dann eben lieber den halben Vormittag damit vertun, sich rechtmäßig Geld zu beschaffen.

Wie gesagt, einmal monatlich kamen die Kontoauszüge. Ich muss sagen, dass die Deutsche Bank mitgedacht hatte. Auf dem Umschlag stand unsere Adresse fein säuberlich in zittriger Altmänner-Handschrift geschrieben, als Absender fungierte ein normaler deutscher Name. Da kam der chilenische Zoll dann nicht auf die Idee, mal nachzuschauen, was eine Bank denn ihrem Kunden so mitzuteilen hatte.

Bei einer dieser Sendungen war der Eingang des Gehaltes nicht vermerkt. Na, so was.

Das machte ja aber nichts, wahrscheinlich hatte man die Auszüge einfach einen Tag zu früh abgesandt. Ich tauschte weiterhin meine Schecks ein und bestritt unsere täglichen Ausgaben mit den so erworbenen chilenischen Pesos.

Der nächste Monat kam und mit ihm eine weitere Sendung von Kontoauszügen. Alarm! Es war schon wieder kein Gehalt eingegangen, und das vom vergangenen Monat auch nicht! Wir waren vollkommen ratlos. Was tun? Also wurden Briefe geschrieben. Zuerst an das Bundesverwaltungsamt in Köln, das unsere Dienststelle war, mit der Bitte um Aufklärung. Keine Antwort. Als dann die ersten Schecks zu Protest gingen und das chilenische Geldinstitut zu seinem Bedauern erklärte, keine Schecks mehr von uns annehmen zu können, liehen wir uns erst einmal Geld von Freunden und bewegten dann sämtliche uns zur Verfügung stehenden Hebel, um zu erfahren, weshalb man uns mittellos ließ. Aber auch Brandbriefe und Telefonate ergaben nichts – niemand konnte uns erklären, weshalb wir kein Geld bekamen.

So ging das natürlich nicht weiter.

Ich setzte mich in den Bus nach Santiago – wir lebten zu der Zeit schon in Viña del Mar – und fuhr die 120 km in die Hauptstadt, um dort die Deutsche Botschaft aufzusuchen.

Ich trug mein Anliegen vor. Der zuständige Botschaftsangehörige furchte die Stirn.

Da bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich bei der übergeordneten Dienststelle in Deutschland zu beschweren.“

Da gab es dann ein riesiges Problem: Das Bundesverwaltungsamt war bereits die Endstation, was den Beschwerdeweg anging. Es existierte keine übergeordnete Behörde.

Eine einzige Möglichkeit bleibt noch“, sagte der Herr, „ und zwar können wir uns als Botschaft beim Auswärtigen Amt darüber beschweren, dass dem Auslandslehrer Dingenskirchen seit bereits zwei Monaten das ihm zustehende Gehalt verweigert wird.“

Ich seufzte erleichtert auf. Das war die geniale Lösung. Doch – halt!

Wann“, fragte ich vorsichtig,“ wann kann ich mit einer Antwort rechnen?“

Ooh, so ein knappes Jahr wird es schon dauern...“


Niedergeschmettert fuhr ich wieder nach Hause.

Uns waren die Hände gebunden, wir waren absolut machtlos.

Ein dritter Monat kam und ging ohne Geld. Ich muss mich an dieser Stelle mal bei denen bedanken, die uns klaglos Pesos geliehen haben, damit wir über die Runden kamen.

Dann der vierte Monat. Die Bankauszüge trafen ein. Ein vorsichtiger Blick und – hurrah! Das Gehalt war da! Allerdings nicht die noch ausstehenden Beträge für die Monate zuvor. Eine Erklärung gab es immer noch nicht. Die kam 10 Monate später, zusammen mit den fehlenden Gehältern, die uns endlich ausgezahlt wurden, selbstverständlich ohne Zinsen.

Der Sachbearbeiter sei krank gewesen.

Der arme Mann“, konnte ich nur grimmig mit den Zähnen knirschen.

Bis heute ist dieses Vorkommnis ein wahres Bank-Geheimnis geblieben.


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